Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
ließ, also versteuerte …). Die jahrelange spätere Hilfe von Augstein für Dutschke und Dutschkes Aufenthalt bei Feltrinelli in Mailand – das hat alles durch mich angefangen, war durch mich initiiert worden (was Dutschke selber nicht mit Dank quittierte).
Kampen, den 6. September
Abendessen mit Hochhuth und Felix Schmidt. Doppelt bestürzender Eindruck: Wir beiden «Intellektuellen», um nicht zu sagen «Künstler», Hochhuth und ich, sahen alt, verbraucht, faltig und müde aus – – – der Redakteur Schmidt rosig, wohl, elegant. Hochhuth saß bei Tisch neben ihm und beide mir gegenüber: wie Vater und Sohn. Hochhuth mit aus der Hose gerutschtem Hemd, schlecht und billig angezogen, Bloody Mary und Wein durcheinandertrinkend, vom Fisch vor allem die Kartoffeln geradezu schaufelnd – – – und neben ihm in Cashmere-Eleganz der Redakteur.
Die zweite Bestürzung, daß Hochhuth tatsächlich für diese HÖR ZU arbeiten will und wird. Zwar habe ich ihm das vermittelt – aber daß er’s TUT. Ich täte es nicht – und hätte es doch wahrlich nötiger. Benehme ich mich auch da wieder falsch – als einziger? Ich meine im Sinne, wie ich meine Ressortredakteure geradezu umsorgt habe, verwöhnt, ob Fischsuppe aus Kampen im Plastikeimer mitbringend oder Pasteten aus Paris – – – das Resultat haben wir ja nun. Eine Redakteurin zählt noch die (meine) Teetassen nach, die die «umziehende» Sekretärin verpackt mit der Bemerkung: «Was braucht er denn noch das viele Geschirr, zu dem kommt doch keiner mehr.»
Kampen, den 10. September
Hauptsache «sauber»: heute in einer Zeitung gelesen, daß eine Kneipenwirtin in Hesperinghausen – wo immer das sein mag – sich weigert, die Hakenkreuze ihrer Flurkacheln auszuwechseln: «Mathilde Vogel meint: ‹Die Fliesen sehen ja auch garnicht so schlecht aus. Wenn der Boden geputzt ist, gefällt er mir immer wieder gut›» (taz vom 10. 9.). Wenn der Boden vom Blut «geputzt» war, gefiel er ihnen immer wieder gut … und der Gaststättenchef sagte: «Um in die Gaststätte zu kommen, muß man über den ominösen Flur. Wenn die Leute Anstoß daran genommen hätten, dann wäre das ja geschäftsschädigend für den Wirt gewesen, und er hätte die Dinger schon von selbst rausgenommen.»
Wenn Auschwitz geschäftsschädigend gewesen wäre, hätten sie’s gelassen. Aber es war ja geschäftsfördernd …
Immer wieder erstaunt, wie knallhart Leute jemanden – mich – «fallenlassen», der nicht mehr «wichtig» ist. Hier seit nun 5 Wochen Hin- und Hertelefonate mit Heumann, Literaturagent aus Zürich, ein Bekannter, kein Freund, den ich mehr höflichkeitshalber angerufen hatte, ob man mal zu Abend essen wolle: Mir liegt garnicht viel daran, wenn ich so jemanden nicht oder nie mehr sehe, ist’s mir auch recht. Aber wie der Mann sich windet, immer wieder verschiebt, «wichtige» andere Verabredungen verhinderten ihn (also ist unsere «unwichtig»?) – mich schließlich – zu einem Abendessen reiche es nicht, er habe noch eine sooo lange Warteliste (als seien wir nicht in Kampen, sondern auf der Buchmesse) – zu einem Drink einlädt, den ich natürlich eben abgesagt habe: Das ist schon direkt komisch.
Nun hat Helmut Schmidt einen viel schlimmeren Patzer gemacht als ich mit meinem Goethewitz, der hat die FAZ falsch zitiert und aus diesem Falschzitat ein Argument für die Kunstfeindlichkeit der FAZ (in Sachen Moore) gemacht, prompt mit einer wütend-scharfen Glosse in der FAZ. Wird er nun auch rausgeschmissen, wie tief wird der Fall sein, den die Lady Macbeth nun kommentiert?
Kampen, den 22. September
Die Mary scheint nun wirklich zu sterben, obwohl man bei diesem undurchsichtigen Weiberclub nicht weiß, wer übertreibt. Einen Tag nachdem sie angeblich ohnmächtig und der Sprache nicht mächtig mit einem 2. Schlaganfall darniederlag, kam ein knallharter Vertragsentwurf wegen der Siegfried-Jacobsohn-Briefe – an deren Publikation sie sich groteskerweise vertraglich beteiligen will, obwohl Tucholsky doch der EMPFÄNGER ist. Hart bis zum Ende.
Trotzdem wird mich der Verlust treffen. Daß jemand mit 88 stirbt, ist IN SICH nicht tragisch. Aber es stirbt ein Stück von mir, wieder mal – meine Zieh- und Wahlmutter, der ich viel zu danken habe, mit der es in den letzten Jahren (leider) scheußliche Auseinandersetzungen gab, zu der die Beziehung aber – wie bei einer echten Liebe – nie GANZ kalt werden kann. Mir zogen abends so viele Bilder durch den Kopf – Rowohlt
Weitere Kostenlose Bücher