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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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drangsalieren.
    Heiner Müller, seltsam redegewandt und plötzlich, trotz (oder wegen?) 2 der teuren Flaschen Whisky intus, verteidigte diese Autoren. Sympathisch, aber historisch und politisch falsch.
    30. Juni
    Nach Lübeck zur Mozartmesse mit der Mondänen, Eröffnung der Schleswig-Holsteiner Festspiele. Der ewige Weizsäcker mit dann doch Silber-Fuchs-Glätte, der mir bei dem anschließenden Empfang auf meine «schöne Akustik in der Kirche» sagte: «Ja, aber nur für Musik.» Ein herrliches «nur» (er meinte: nicht für seine Rede). Das ist deutsche Kultur.
    Abend mit meiner Mondänen dann sehr schön; wenn wir uns sehen, ist die alte Weichheit und Liebe und Freundlichkeit da, nur die Entfernung macht uns hart und zerstört alles. Bier in der «Schiffahrtsgesellschaft», deren alt-noble Schönheit sie mit ihrem schnellen Auge sofort erkannte – – – und scheußliches Nicht-Essen im Maritim. Die Fahrt im offnen Wagen durch dieses Stück Schleswig-Holstein für mich sehr bewegend, vorbei an Eckfrieds Grab und IMMER NOCH voller Erinnerungen. Mein Gott, was war ich damals glücklich, was klang in mir ständig eine Musik, ein Ton – – –.
    21. Juli
    Da soll einem nicht unheimlich vor einem selber werden: vor ein paar Tagen ein Vortrag in Bonn respektive Bad Honnef – – – bei der Ankunft dort, schon bei der Einfahrt des Zuges, dann vorm Bahnhof, dann ausgerechnet auch noch per Taxi die Straße entlang, wo er gewohnt hat: ganz, ganz intensives Denken an Bernd, sah ihn, schmeckte ihn, hörte ihn. Ein ziehender Schmerz, als sei alles gestern und nicht anderthalb Jahrzehnte her. Diesen Menschen habe ich geliebt. Aber es geht weiter: Nach dem Vortrag sehe ich: Man hat mir einen Geldschein gegeben, auf den hat jemand mit Kugelschreiber irgendwas gekritzelt, und darunter steht: «Bernd Kaiser». Direkt gespenstisch … Und es geht NOCH weiter: Gestern war ja nun jener 20. Juli, an dem nicht nur die Generäle vergebens Adolf umbringen wollten; an dem nicht nur Eckfried vor ich weiß garnicht mehr wie vielen Jahren (2 Jahrzehnten doch mindestens?) «starb» – – – sondern an dem auch Bernd Geburtstag hat(te). So ist, was mein Pariser Freund dieser Tage von Jean Marais berichtet, grauslich: «Mein Gott, wie ich den Mann angehimmelt habe vor 30 Jahren, wie toll ich ihn fand. Und wie wurscht er mir nun ist. In Berlin nahm er mich in den Arm, sagte mir schmeichelhafte Dinge. Und da mußte ich in meinem Alter noch grausam zu dem 72jährigen sein und ihm sagen: ‹Oh, wie hätte ich mir das vor 30 Jahren gewünscht› … Er ist hart im Nehmen, erzählte mir, daß er 3 Leute hat, die er regelmäßig bezahlt. Dem einen habe ich ein Café in Auvers (wo van Gogh sich erschoß) gekauft, dem anderen eine Pizzeria in Cannes … na ja, und die müssen die nun abarbeiten.» Eiskalt wird das berichtet.
    War er nicht mal der schönste Mann Europas, der begehrteste? Ein Idol? Eine Kultfigur?
    Abends mit dem herrlich skurrilen und in seiner Weise eleganten Platschek essen («Sie können doch so was jetzt nicht mehr absetzen – darf ich Sie diesmal einladen? Ich habe nämlich einen heimlichen Beratervertrag – und kann nun meinerseits absetzen»). Das ist elegant, witzig und mir sehr ungewohnt, denn sonst bin immer ich derjenige, der zahlt.
    Platschek, alt und bissig (spätabends im Wagen vor seiner Tür – die ja meiner gegenüberliegt – tranken wir noch aus meinem Auto-Flachmann Vodka, sah er wie ein Greis aus). Aber was er schreibt, ist IMMER erstklassig, was er erzählt, NIE nur Klatsch; nur seine angeblichen Weibergeschichten sind zu komisch, weil so evident erfunden: Der Mann lebt seit Jahren, fast hätte ich gesagt, «von der Hand in den Mund», da gibt’s NIE die große Blonde, «mit der Sie mich doch neulich, aber pssst, gesehen haben», habe NIX und NIEMANDEN gesehen …
    Aber sonst ist er ein ungewöhnlicher Kerl, gebildet (eben auch in meinem, d. h. dem Sinne meiner Generation) und in dem Maße verrückt, in dem man es mag (und selber ist).
    29. Juli
    Bedrückt, immer wieder, über die eisige Entfernung, die zwischen Mary Tucholsky und mir eingetreten ist, immerhin hat sie mir mal Asyl geboten, meine Papiere besorgt etc.; aber – selbst das hatte ich ihr ja in jenem «letzten» Brief geschrieben, der angeblich so beleidigend für sie UND Tucholsky war: Ich kann nicht mehr mit mir so umgehen lassen, so hart, dumm und meine Tätigkeit miß-schätzend. Wie komme ich dazu, an ein fremdes Werk jahrelang Arbeit

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