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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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polternd (und mich vor Ledig warnend) an der Weißach, wo er vor Wut – weil ich sein Angebot, sein Sekretär zu werden, nicht annehmen wollte – sein Gebiß in den Fluß spuckte und der ca. 7jährige Harry es herausfischen mußte. Er war wütend und begeistert zugleich über meine Antwort: «Ich bin und werde niemandes Sekretär – ich will meinen eigenen Verlag haben.» DAS sei genau, was er prima fände, nur aus solchen Leuten werde was …

    Oder Ernst Rowohlts eifersüchtige Frau Maria, die ihm im Garten bei der Mary in die Glatze biß, weil sie zwischen den beiden «etwas» fürchtete. Oder der wahnsinnige Ernst Busch, der mit seiner gräßlichen 3. Frau den ganzen Tag im Garten sich zankte, Westgeld laut zählte – um abends mit voller Brust «bürgerliche Wohltätigkeit» zu singen, die Haushälterin «durfte» auf einem Schemel – «Irene, du darfst reinkommen, aber verhalt dich ruhig» – dabeisitzen, während Mary und ich in jenen schönen alten Sesseln lagen, die ich nun besitze. Bilder über Bilder.
    Nicht nur die Blätter werden zu früh gelb und fallen ab – ich auch. Meine Kraft läßt in einem erschreckenden Maße nach, meine Sexualität – noch nicht lange her, wo ein Tag «ohne» mich ganz nervös machte – auch. Wenn ich denke, was ich gerade HIER früher angestellt habe, wie oft ich garnicht oder erst morgens nach Hause kam.
    Kampen, den 28. September
    Übrigens zwei schlecht geschlafne Nächte noch in Kampen nach «auf ein Bier»-Besuch der klatschsüchtigen Tunte Ben Witter, bei dem man nie weiß, ob er NUR sich wichtig macht oder in seinem Tratsch nicht doch ein Gran «Wahrheit», will sagen Information nistet. WENN letzteres, dann war er eine Art Tast-Bote von Sommer, weil man in der Zeitung inzwischen erkannt hat … und «mal hören» will, ob ich mir vorstellen könnte … Könnte ich? Einerseits: Rache wäre süß. Andrerseits: Ist das nicht eine vollkommen außengeleitete Reaktion, die MIT MIR an sich nichts zu tun hat? Will ich mich wirklich wieder diesem (Psycho-)Stress aussetzen, nur um der FAZ etwas «zu beweisen»? Was bewiese ich denn? Daß ich ein gutes Feuilleton machen kann? Das wissen und geben zu ja inzwischen sogar meine Feinde (ähnlich wie nach der Rowohltsache). Und zu MEINEN Dingen käme ich wieder nicht, nicht mehr, nie mehr. Aber: Ich hätte gesicherte Einkommensverhältnisse. Drückt mich das eigentlich zu sehr? Schließlich wird ja nicht die nackte Not an die Tür klopfen ohne das dämliche ZEITgehalt.
    1. Oktober
    Eben geht ein Journalist von der LIBÉRATION weg, Interview wegen des in Paris erscheinenden KUHAUGE. Löst den traurigen Gedanken aus: falsch gelebt? Warum habe ich nicht vor vielen Jahren «umgeschaltet» und, statt meine Energien und menschlichen Qualitäten auf andere zu werfen, mich um mich selber gekümmert, warum habe ich nicht früher angefangen, «Primär-Literatur» zu schreiben? Natürlich wäre kein Beckett und kein Thomas Mann aus mir geworden – aber ein Autor dieser Zeit eben doch; dessen Stimme vielleicht garnicht so sehr untergegangen wäre im Chor? Jedenfalls eigenartige Situation – wie hier nun ganz beflissen ein junger Mann sitzt und zum Schluß sich mein Buch signieren läßt.
    Alles wird zunehmend monologisch. Auch die zwei Telefonate mit Hochhuth in den letzten Tagen, lieb und wirr wie immer, zeigen das: Ich brauche nur ein Stichwort zu geben («Das Magazin hat ohne mich zu fragen den Titel meiner Faulkner-Reportage geändert») – schon kommt das Aequivalent, was ihm da und dort widerfahren ist, ob im FAZmagazin oder HÖR ZU: Er hört im Grunde keine 2 Minuten zu – was wiederum mich nervös macht: So höre ich umgekehrt auch nicht zu. Ein Satz allerdings machte mich nachdenklich: Als ich ihm klarmachte, daß bei ihm immerhin – bei und trotz allen Schmähungen, denen er ja wahrlich auch ausgesetzt war/ist – eine Art Gerechtigkeitswaage funktioniert, dort die Wahl in die Berliner Akademie, da ein Preis, sagte er: «Ja, ja, die Akademie-Jahrzehnte nach dem STELLVERTRETER.» Das besagt ja nicht nur, daß er sich selber immer noch vor allem als Autor dieses einen Stückes sieht – das besagt auch, ins Grob-Deutliche übersetzt: Ich, mein Lieber, habe immerhin den STELLVERTRETER geschrieben. Und da hat er ja eigentlich recht. Ich habe zwar viel gemacht, angeregt, herausgegeben, habe Fichte oder Kempowski «ermöglicht» – – – aber die AUTOREN waren schließlich sie (und hätten zur Not auch ’nen anderen

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