Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
ehrbar-stumpfer Journalist, dessen (von ihm vielzitiertes) Ideal die Überschrift der alten FRANKFURTER ZEITUNG anläßlich der Röhm-Ermordung war: «Personelle Veränderung in der SA».
Mit ihm war einer meiner ersten Zusammenstöße in der ZEIT – damals schon Beginn vom Ende, obwohl ich erst kurz da war: auf dem Höhepunkt der Schleyerentführung, nachdenkend, wie man, wenn schon nicht Täter, dann doch eventuell Nachfolgetäter «erreichen» kann, bat ich Böll, Marcuse und Dutschke um je einen Aufruf-artigen Artikel. Die Texte kamen – und Becker, Statthalter des urlaubenden Sommer, lehnte es ab, sie zu drucken. Die Konfrontation ging 1 ½ Tage, ich saß rauchend und Tee trinkend in meiner Bibliothek (interessanterweise in solchen Situationen nicht im hochdekorierten Salon) und entschied für mich: Ich gehe morgens hin, und wenn’s nicht gedruckt wird, räume ich am selben Vormittag noch meinen Schreibtisch. Das gab mir so viel innere Sicherheit und Souveränität – daß ich den Druck durch«drückte».
Wäre ich heute noch derselbe? Habe ich nicht bereits gekniffen, als Bucerius diese Rüpelei gegen mich in Sachen «Das Boot» publizierte? Der junge Schwelien – mit dessen Vater, seines Zeichens ADNchef im Nachkriegsberlin, ich bei Jochen Mund betrunkene Feste und eine Silvesternacht feierte – sagte mir neulich, als er mich (er mich!) als ZEITmagazin-Leitartikler anwerben wollte: «Das war damals Ihr Fehler – Sie haben Schwächen gezeigt –, und die nutzt man aus.» Recht hat er.
Der zweite Tote: Schultz-Gerstein, ein bösartiger Literaturmörder, dessen «scharfe Feder» ihm nun nach-gerühmt wird, der in Wahrheit ein übellauniger Charakter war; nun ein betrogener Betrüger oder verratener Verräter, wie dieser Artikel über ihn und seinen «Übervater» Augstein zeigt. Allein, sich DEN als Übervater auszusuchen, zeigt geradezu Dummheit – es gibt ja auch seelische Dummheit. So schlitzt ein Schlitzohr dem anderen das Leben auf –.
Kampen, den 22. Mai
Auch in mir glimmt ein Fünkchen Schadenfreude, wenn es mal einen anderen erwischt – sogar bei einem Freund wie Hochhuth. Mehr noch: Ich stimme den Negativ-Urteilen zu – bei Hochhuth: schlampiges Schreiben, erotischer Kitsch; bei Wunderlich: zu glatt; bei Grass: zu kolportagehafte Tagesaktualitätscollagen in der RÄTTIN (was ich ihm schon beim Vorlesen in der Agnesstraße selber ins Gesicht gesagt hatte). Dann werden aber auch die Negativ-Urteile über MICH stimmen, wenigstens zu Teilen (flüchtig, oberflächlich, im Detail manchmal falsch) – also genau das, wogegen ich mich innerlich so verwahre. Dann werden übrigens auch Freunde – die Feinde lassen wir mal beiseite – so reagieren, nämlich: Ist schon was dran.
Kampen, den 26. Mai
Verstörende «letzte Tage» hier: Märchenwetter, wie ich mir’s schöner und für mich idealer nicht ausdenken könnte – strahlende hohe Maisonne, kühler Wind, wolkenloses Blau, auf der geschützten Terrasse warm bis abends um achte.
ABER: Mein Mißvertrauen gegen die García-Márquez-Arbeit wächst ins Beinah-Gewisse vom Mißlingen. Gesteigert durch bis zur Verzagtheit absinkende «Begeisterung» am Wolkentrinker-Roman. Vor allem Wunderlich hatte fast immer recht: schiefe Bilder, technisch Unstimmiges (Batik ist kein Druckverfahren) – das hielt ich also für fertig?? Aber viele der «Vorhaltungen» begreife ich nicht, verletzen mich, etwa, wenn ständig eine ROMANfigur als reales Ich angesehen wird, daß, wenn jemand was Dummes und Ungebildetes (etwa über die Gipse bei Goethe) sagt – aber nicht ICH spreche doch????!?
Doch bereits diese Tagebuch-Selbstrechtfertigung zeigt, daß ich SEHR verunsichert bin.
3. Juni
Draußen blüht alles, ein meist naß-kalter, nur gelegentlich, dann aber strahlend-schöner Mai: Flieder und Goldregen und die Rapsfelder wie schräggeschnittene Kissen, vor allem auf der Fahrt am Samstag zur Wunderlich-Ausstellung in Cismar – – – – – und ich bin tot, müde, mürrisch, verzagt, ängstlich. Schlafe schlecht, schwitze, Kopfweh, Haare fallen aus: «die Krankheit»?? Selbst so ein lächerlich-technischer Umstand, daß ich den Porsche nicht mehr mag, daß er mir zu hart, zu laut, zu robust ist, deprimiert mich – weil das ja ein Älter- und Empfindlicher-Werden anzeigt. Überlege allen Ernstes, einen Mercedes zu kaufen – obwohl man an Autos keine Ideologien festmachen soll, ist es doch ein Zeichen.
Die Wunderlich-Ausstellung großartig, auch wenn sie
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