Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
erste Reise in ein Ost-Land seit meiner Flucht 1958!).
Mit Gitta am Friedhof. Die Absurdität des «schönen Grabs» – «ihm hätte es gefallen»; was für ein Satz. Meine Traurigkeit gefror.
Hotel Kempinski, Berlin, den 29. Juli
Gestern schöner, etwas vertratschter Abend mit Gerhard Schoenberner – auch, um meinen Besuch kommende Woche bei (seinem Schwiegervater) Bihalji-Merin vorzubereiten. Alte Sympathie, auch mit Schoenberner – obwohl wir wenig voneinander wissen. Fragte mich nach meinem «Elternhaus».
Heute nachmittag bei Blandine Ebinger, eine muntere Greisin, die von versunkenen Zeiten erzählt – alles durcheinander, ob Brecht oder Feuchtwanger, Thomas Mann oder Marlene, Chaplin oder Tucholsky. Ich liebe diese alten Gestalten.
Jetzt gleich Abendessen mit Botho Strauß.
Hotel Kempinski, Berlin, den 30. Juli
Dieses kaputte, dabei quirllebendige Berlin hat auch etwas Zerstörerisches. Botho Strauß: eine «Irrliebe». Wir sind uns sympathisch, leben aber in gänzlich kontroversen geistigen Kufen. Er verehrt Jünger, findet Borchardt einen Denker. So war der Abend nur Streit (freundlicher). Ich finde die kahle Wohnung auch prätentiös; daß der Gast keinen Stuhl, sondern die Fensterbank «angeboten» kriegt, ist doch albern. Große leere Räume – also eine Inscenierung. Er ist «mit Berlin», nein: «mit Deutschland» beleidigt, will in London leben, hat aber ein Haus auf – Mallorca! Sagte Kluges über die Differenz von Prosa (an der Erinnerung lebend) und Drama (immer «aktuell»).
Diego-Rivera-Ausstellung – einige ganz und gar wundervolle Bilder. Tief berührt vom Blumenkorb-Mann mit gelber Schärpe. Bedeutend.
Nachmittags bei Grass im Krankenhaus, wo er in seinem 1.-Klasse-Zimmer mit Urin-Beutel (am Katheter angeschlossen) herumstolziert, telefoniert, intrigiert (wegen Verkauf des Luchterhand-Verlages, wo er «ganz toll» und «unerbittlich» protestiert: «Nie werde ich Autor eines ausländischen Verlages sein»); liest mir seinen Protestbrief, wie Prosa, vor; schlägt mir vor, «sein Verleger» zu werden – wenn er von Luchterhand weggeht.
Zum Abendessen mit Brasch verabredet (dem ich vor Hochhuth oder Schoenholtz die «Priorität» gab) – und der bis kurz vor 11 Uhr nicht auftauchte. Saß über 1 Stunde wie ein Idiot da. Nun will ich mal ne Weile nicht, auch, wenn ich dann so eine Nachricht im Hotel finde. Irrtum, mich befreundet zu wähnen?
Hotel Beograd Intercontinental, Belgrad, den 4. August
Wiederbegegnung mit Biha (Oto Bihalji-Merin), hier, in derselben Wohnung saß ich vor 30 Jahren – oder mehr – mit Jochen Mund; und die halb taube, halb blinde, halb gelähmte Lise, Bihas Frau, piepst mit ihrer Vögelchenstimme: «Wie geht’s Ihrem Ziehvater?» (fragt auch nach Marianne Dreifuß, Czollek, weiß von meinem Brief voller Gewissensqual und Selbstvorwürfen, den ich nach meiner Flucht aus Ostberlin geschrieben habe).
Er, alt und dünn, weiß noch mehr – die entlegensten Anspielungen in Essays von mir («Als ich über Goyas schwarze Bilder arbeitete, dachte ich daran, was du über die Farbe Schwarz in deinem Baldwin-Essay gesagt hast»), ein 8-Seiten-Brief, den ich ihm mal wegen eines Buchprojekts geschrieben haben muß. Das Ende meines Gesprächs mit Wittfogel. Es ist eine wunderschöne, zu Tränen treibende, rührende Wiederbegegnung, ein Mensch, so alt wie das Jahrhundert (und so zerrissen). Von Belgrad sehe ich nichts. Scheint häßlich. Hotel peinlich west-komfortabel.
10. August
«Voll» noch immer von dem Besuch in Belgrad, der mich menschlich erfüllt, in einer bestimmten Weise glücklich gemacht hat. Traurig auch: Die, die durch den Sozialismus, auch seinen Verrat, seine Enttäuschungen gingen, sind doch andere Menschen als die Glasaugen hier. Sie werden auch «anders alt» – Biha hat eben ein anderes Gesicht als der juchtenlederne Käfersammler Ernst Jünger (von dem Hochhuth mir dieser Tage erzählte, er habe ihn nicht empfangen wollen, weil «Sie doch mit diesem Raddatz befreundet sind». Große Ehre für mich – daß er so was überhaupt weiß).
Und über den habe ich mich nun so mit Botho Strauß gestritten, daß ich von ihm einen geradezu schnöden, auch läppisch-feierlichen Brief bekam, wie furchtbar er im nachhinein den Abend mit mir fand. Eine eisenharte Mimose. Man denke, daß ich dem 82jährigen Biha wirklich «LEBENSFRAGEN» gestellt habe – z. B. die, wie man Kommunist bleiben konnte unter und während Stalin, während der die Freunde
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