Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
stehen auch die 2 schweren Rolls-Royces nur in Hamburg in der Garage – durch die Berge oder zum Essen fuhren wir mit Karins mit kaputtem Auspuff klapperndem Wagen.
14. März
Heute abend übergebe ich «Der Wolkentrinker» an Rowohlt – habe, altmodisch, meinen Verleger zum Essen eingeladen; ein Roman-Manuskript nur so mit der Post?
Dabei in Welten-Angst. Die täglichen Horror-Nachrichten überkleben die Seele – da eine Plutonium-Verseuchung, dort vergiftete Molke (mit der niemand weiß, wohin), hier AIDS-Tote (und grotesk-deutliche Präser-Werbung mit steifem Riesenschwanz im «Stern») – unseren täglichen Schauder gib uns heute. Kaputte schöne Welt.
Das Brendel-Schubert-Konzert gestern abend in seiner Melodien-Schönheit fast Entrückung. Frage: Geht das überhaupt noch? Grob gefragt: Kann man nach Tschernobyl noch Schubert spielen (Romane schreiben …)?
Bin schuldbewußt: habe «4. Jahrestag» mit Gerd vergessen, er zu schüchtern-introvertiert, um zu erinnern. Sagte es erst abends nach Brendel, lud mich (sehr schön) zum Essen ein, war dabei liebevoll-vorwurfsvoll-traurig.
Den Tag davor lustig-groteskes Telefonat mit Tabori, der also allen Ernstes das Heine-Stück für sein Wiener Theater will. Erzählte nicht nur von einer Krankheit, «which makes me stop eating so much Sachertorte», sondern auch, daß seine Wiener Adresse so schön sei: «Tiefer Graben». Da habe Mozart gelebt, Beethoven seine Streichquartette geschrieben – und da sei Wiens Luxus-Puff.
15. März
Gestern bizarrer Anruf von Mary Tucholskys Sekretärin: Sie verwechselt mich ständig mit Tucholsky, fragt, wieso Geld auf ihr Konto statt «bei Raddatz» eingeht, und versteht das Testament von Tucholsky nicht, das ihr daraufhin – «Sie sind die Erbin» – die Sekretärin zeigt. «Wieso hat Raddatz mir alles vererbt?» fragt sie und: «Aber das stammt ja von 1935 – wieso ist er so alt?»
Eine traurig-bigotte Komödien-Scene …
16. März
Gespenster-Abend «für» Fichte – Abendessen Leonore Mau, die «Witwe» – eine kichernde Greisin, die zwar schöne Fotos von ihm «als Gastgeschenk» mitbringt, aber im Grunde nur von sich, irgendeiner blöden Reise nach Indien, erzählt. Er kommt im Grunde nicht vor – keine Trauer, keine Nachdenklichkeit.
Einziger schöner Moment, als die Mau erzählte, sie habe die Beerdigung auch so gräßlich gefunden, habe nur durchgehalten, indem sie säuisch-obszöne Worte vor sich hingedacht habe.
Auf dem Grabstein, den «wir Autoren» (mit dem Honorar unserer Gedenklesung) bezahlt haben, ein wundersamer Empedokles-Spruch: «Einst schon bin ich ein Knabe, bin ich auch ein Mädchen gewesen …»
20. März
Was für ein seltsamer Mensch dieser Hans Mayer, den wir da nun mit Pomp und Prahl und obligatem Lob ins 80. gefeiert haben; er sei «völlig ungerührt und ohne Emotionen». Das entspricht der in Muschgs meisterlicher Laudatio leise angeklungenen Befremdung über Mayers Satz: «Ich habe weder unter meiner Herkunft noch unter meiner Veranlagung je gelitten.» War/Ist er so sehr sein eigenes Sonnensystem, daß Jude- und Schwulsein ihm gleichgültig sind? In der Hotelhalle saß er jedenfalls schon morgens, wie ein Kind die Spielzeug-Geschenke, Telegramme, Zeitungsartikel und (vornehmlich die abgesagten) Funkinterviews befummelnd und sammelnd. Aber die Ehrfurcht vor Kunst ist ihm so eingeboren, daß er sein «Wie geht’s Ihnen, was machen Sie als nächstes?» selber unterbrach: «Nein, viel wichtiger – was macht Ihr Roman?» Roman wichtiger als Gesundheit – als das Leben gar?!
Hôtel Pont-Royal, Paris, den 22. März
Eingesperrt-lichtlose Tage in Paris, Schneesturm bei Ankunft, strömender Regen unentwegt.
Mittags mit Lortholary – mag ihn, witzig, gebildet, spricht ein herrliches Deutsch. Bot mir Lehrstuhl in Paris an???
Erzählte vom geizig-bedürfnislosen Süskind (dessen «Parfum» er übersetzt hat und der sagt, er schreibe keinen Roman mehr): schlurft in Tennisschuhen durch die Welt, seine «Pariser Wohnung» ist ein chambre de bonne , und vor der Abreise kam er mit einer Plastiktüte, in der war ein Ei, eine Zitrone, ein angebrochenes Glas Senf – das könne er doch nicht im Eisschrank lassen. Als Lortholarys Frau die Tüte wegwarf, holte Süskind die aus dem Müll: «Die kann man noch brauchen», und als sie das Papier von der Flasche Wein knüllte, sagte er: «Das ist aber die ‹Libération› von heute.»
Der Mann ist Millionär! (von einem Buch …).
Ansonsten treibe
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