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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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schlau um 22 Uhr qua vorbestelltes Taxi beendete) kein Wort von mir gesprochen – und sie mich keine Silbe gefragt. Dafür ging es 2 Stunden um ihre alberne «Installation», recte: eine Tischdekoration für die Antiquitätenmesse in Hannover, von der gesprochen wird wie von der Enthüllung einer Henry-Moore-Skulptur – nur mehr Aufwand: 2 Autos mit «hauseigenen» Handwerkern, Tischlern, Elektrikern, Friseur, Schminkdame, «Pressereferentin», ein Videoband wird aufgenommen. Es tut einem das Zahnfleisch weh. Zu denken, wie kärglich wichtige Autoren leben und welcher Rokoko-Aufwand für dieses unintelligente Hobby einer älter werdenden reichen Dame, die zugleich so hastig lebt, daß sie nicht mal mehr an sich denken kann.
    14. März
    Samstag die Ledig-Feier – eine banale Hordenzusammenkehrerei, 400 Menschen unter dem Motto «was Rang und Namen hat», lieblos gegen die Gäste und lieblos gegen Ledig, der diese Art Betriebsausflug mit ehemaligen Buchhalterinnen in Chintz nicht verdient hat. Jane, taktlos, als sei es IHR 80. Kam 2 Stunden zu spät mit einem Extraauftritt. Verblüfft, daß die Mondäne kam und noch maulte, daß ich sie nicht «gebeten» hätte zur Tristan-Premiere am folgenden (gestrigen) Sonntag. Man kenne sich da aus: Eben will sie noch aus dem Fenster von Springers Apartment in Miami springen, und ich bin krank vor Sorge – schon geht das alte Karussell zwischen Premieren, Parties, Autotelefon und «eben mal bei Reinhardt Wolf» weiter. Am liebsten wäre sie zu Tristan UND der Lulu von Zadek gegangen. Und da sie ja ALLES haben will, will sie auch noch die Krankheiten anderer haben: Sie BESTEHT förmlich drauf, auch meine Hautflecken zu haben – nur, weil sie gelegentlich mal irgendwo ne blasse Stelle hat; das ist eben – Gott sei Dank – noch keine Vitiligo …
    Gestern abend spät nach dem Tristan, von dem mich nur der 2. Akt berührte, sonst hat mich weder die Musik in andere Welten geführt noch die Inscenierung, die letztlich in modernen Accessoires sich verhedderte, noch Inge Feltrinelli getroffen, der ich 1 Zettelchen ins Hotel gegeben hatte, daß Gerd und ich dort «soupieren» nach der Oper. War auch wunderschön, direkt am Alsterfenster, mein alter Oberkellner Nährig (seit über 20 Jahren) hatte den Tisch gedeckt, selbst der Bordeaux stand schon auf dem Tisch, Inge plapperte herrlichen Klatsch noch von dem Ledig-Abend (u. a., daß er selber, der mir ja auch so erloschen vorgekommen war, entgeistert und verärgert war über die Papperlapapp-Reden, über Rühmkorf, der wie zu einer Dichterlesung einfach alte Gedichte vortrug, ohne auch nur den Namen des Geburtstagskindes zu erwähnen; oder der alberne Kultursenator, der sprach wie zur Eröffnung einer Buchhandlung in Lüneburg – so tot und leer, daß ich sogar, leicht beschwipst, mich des Mikros bemächtigte, um Ledigs herrlichen Wahn zu feiern).
    El Minzah Hotel, Tanger, den 17. März
    Der 1. Tag in dieser ver-rückten Welt – gestern abend angekommen – nach einem – also vorgestern – sehr «vollen» Abend zum Abschied mit Wunderlich. Beherrschend wie so oft unser ewiges Streit-Thema: Ist der Mensch «erziehbar»? Er: Man ist, wie man ist, schon mit 6 Monaten. «Welchen Pfaffen Sie immer getroffen hätten – Sie wären, wie Sie sind …» Kismet nennt man das hier wohl.
    Gestern abend zu müde und ängstlich in der dunklen fremden Stadt; im Hotel so «romantisch» wie schlecht gegessen.
    Heute morgen gebummelt. Erste Eindrücke: Viele Frauen in den mächtigen breitrandigen Stroh-Hüten sehen indianisch aus. Ein Mann, dem «aus» der Hand ein krähender Hahn hängt. Eben noch der malerische Alte mit 1 Gesicht wie 1 Landschaft, im weißen Turban, der im Schein einer Kerze vor Gewürzkörben hockt und liest – da: Omo und Ajax. Käse in kunstvoll geflochtenem Blätterkranz. Straßen-Cafés mit Tee aus frischer Pfefferminze – und mit Blick auf BMW-Grill, Mercedes-Stern oder Haribo-Bärchen. So viele Alte! Die schönen Gesichter. Etwas Seltsames: Bei Frauen sieht man nur die Augen unter dem Gesichtsschleier, dann geheimnisvoller. Schon die Nase stört entlarvend. Oft wie Fabeltiere, wenn unter dem Umhang (?) auf dem Rücken eine Last.
    El Minzah Hotel, Tanger, den 20. März
    Vorgestern abend – nach 2 Tagen Reise Mexico – Chicago – New York – Madrid – ganz pünktlich die Schwester alias Schnecke. Schön. Vergnügtes Wiedersehen auf der formidablen Terrasse mit Champagner, riesigem weißen

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