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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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1090 Wien
    26. Februar
    Eine vollkommen gespenstische Veranstaltung: das «offizielle Wien» total abwesend, bei einem immerhin bedeutenden Künstler europäischen Formats (aber Lafontaine da!). Alfred redete nur betrunkenen Unsinn à la «Gesinnung ist alles», der todkranke Erich Fried sprach, wie er dichtet: rote Poesiealbumsprüche; nicht 1 Satz, der Sinn und Verstand gehabt hätte.
    Hotel Sacher, Wien, den 26. Februar
    Nachmittags beim 86jährigen Günther Anders. Stürzt sich in zerrissenen Hosen («hat keinen Sinn mehr, für mich was zu kaufen») auf die mitgebrachte Sacher-Torte. Spricht von sich als «dem letzten Philosophen des Jahrhunderts». Von seinem «Freund seit 65 Jahren» Hans Jonas: «Er bekommt die Preise für die Bücher, die ich geschrieben habe.»
    Physisch uralt, die Arthritis-Hände wie Hummerkrabben, die Nase wie bei allen alten Juden immer größer – aber den Kopf erhält die Eitelkeit jung.
    Erlosch, als ich 5 Minuten von mir erzählte. Wurde, wie ein Schauspieler, einfach von Minute zu Minute schwerhöriger. Der Sender war geschlossen – glücklich, als er mir beim Abschied sagen konnte: «Ach, du kriegst ja eine Glatze.» Er altert nicht alleine … («Sie, obwohl viel jünger, wirken viel älter als ich»). Geht jeden Abend im «Regina» essen.
    Danach beim nächsten alten Juden: dem 74jährigen George Tabori. In seinem winzigen Theater «Der Kreis». Sehr lieb, fast «verliebt» in mich – streichelt mich: «Ich mag dich.» Das Tacheles-Gespräch unseriös wie wohl alles am Theater – gibt kein Konzept für das neue Stück, das er von mir will (wieviel mühseliger, langwieriger ist Prosa- und Essay-Schreiben doch! Wie lange saß Thomas Mann am Faustus – und Brecht schrieb nie länger als 4 Wochen an einem Stück, Tabori war eigentlich alles recht – ich als Heine; Heine als Sterbender alleine; Heine mit Mathilde; FJR auf der Heine-Italien-Reise. Es ist wie Fassbinders berühmtes «just be great» zu der Moreau).
    Nachdenklich machend: Alle diese Leute nehmen mich für «selbstverständlich begabt», they take it for granted , daß ich das kann – eine Reportage, ein Stück schreiben, ein Mitterrand-Porträt machen. Nur meine Freunde, die Kritiker …
    Gestern mittag Austern mit Rowohlts Naumann. Rasche Einigung über Tucholsky-Editionen. Nachdenklich machend: Elektrisiert war er ob der Idee, ich könnte Intendant im Hamburger Schauspielhaus werden. Meine Zögerlichkeit: «Aber was würde mit/aus meinen Buchplänen?» wischte «mein Verleger» mit einem «ach was» beiseite. Er ist eben ein Journalist (der mir zufällig wohl gewogen ist).
    Hotel Sacher, Wien, den 28. Februar
    Im Kopf immer noch die unmögliche Selbstunterschätzung Hrdlickas, der nur ewig von «Küh-sinnung» schrie und sich gegen alle einschlägigen Sprichwörter, von «Der Gegensatz von Kunst ist ‹gut gemeint›» über Gides «Çe sont les beaux sentiments avec qu’on fait les mauvaises littératures» bis zu Janssens «Goya war gut, die Kollwitz meinte es gut» hinwegsetzte. Dabei hat er selber doch KUNST GEMACHT UND HAT’S NICHT NUR GUT GEMEINT???!
    Hotel Kempinski, Berlin, den 2. März
    Nachmittags in der großen Beuys-Ausstellung: lässt mich vollkommen leer, response-los. Halte das alles ausnahmslos für ideologisch aufgetakelte Scharlatanerie. Das ist kein Bildhauer – welches Bild hätte er je «gehauen»?
    Rätselfrage: Warum sind seine Ready-Mades (anders als die objets trouvés von Picasso, Duchamps etc.) so ganz ohne Geheimnis? Sie transportieren nichts als sich selbst, die Schiene ist nur eine Schiene.
    Parkhotel, Frankfurt, den 4. März
    Gestern bizarrer Abend in Frankfurt. Lesung aus «Wolkentrinker» in «Romanfabrik», eine Ost-End-Mischung aus Puff, Kellerkneipe und Literaturhaus (was dieses reiche Land so alles subventioniert! Solche «Typen» können mir Honorar, Hotel und Flug zahlen!). Wo immer ich das Buch vorstelle, ist die Reaktion: «Das ist ja aber ganz anders als in den Kritiken!»
    8. März
    Heute Fichtes Todestag! Es ist Gerd, eben am Telefon, der mich daran erinnert!!
    Steigenberger Hotel, Duisburg, März
    Samstag abend bei der Mondänen, wo es immer bizarrer wird, am Rande des Dürftigen. Die Suche nach einer Flasche Champagner – der schließlich warm serviert wird – nimmt geradezu ostentative Ausmaße an; das Essen kärglich und schlecht (Üppigkeit offenbar nur als Show – wenn viele Gäste), kein ernsthaftes Gespräch möglich.
    Habe den ganzen Abend (den ich

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