Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Schnurren, z. B. von seiner Tournee mit dem DDR-Trommler Baby Sommer (die großen Erfolg hatte) und während der sich dieser 40jährige in eine Italienerin verliebte, bei der er – «erst mal, für ne Weile im Westen» – bleiben wollte. Aber seine Ehe-Megäre, gemeinsam mit der STASI, tauchte an fast jedem Punkt der Tournee auf und «kassierte ihn schließlich ein», wie ein fehlgegangenes Postpaket. Nix Westen, nix Italienerin, aus mit dem schönen Traum: Nun sitzt er wieder bei seiner sächsischen Megäre und kann die DDR-Trommel rühren.
Ebenso vergnügt erzählt Grass eigene Absurditäten: wie er nach dem Akademie-Abend zu Ehren Borns in der Akademie und einem – natürlich programmierten – Streit mit Handke zu einer Sauftour durch Berlin aufbrach, im Auto mit einer Freundin (tut so, als sei das eine Art Sekretärin von ihm und nicht, wie es der Wahrheit entspricht, seine Westberliner Geliebte, mit der er ein Kind hat). Die fährt ihn volltrunken an den Baum, das Auto zu Schrott (wer zahlt wohl das neue?), er verwundet, sie kreischend – ihn offenbar tot wähnend –: «O Gott, was habe ich der deutschen Literatur angetan», er wütend blutend von der Erde hochkrabbelnd und sich das mit der «deutschen Literatur» verbittend: «Es geht um MICH, nicht um die Literatur» – beschwatzt die auftauchenden Polizisten («sie haben mich natürlich erkannt») – – – und geht noch 2 weitere Stunden saufen: «Das Auto haben wir einfach stehen lassen, Totalschaden.»
Die Kraft müßte man wohl haben …
12. Februar
«Gefröstelt vor Genugtuung» – das war die beste (Kempowski-)Formulierung von allen, die mich zum gestrigen TV-Duell gegen dies SPIEGELbürschlein erreichten; tatsächlich ein enormes Echo – und offenbar ein enormer Erfolg. Von Monk bis Fechner, von Liebermann bis zu einem Berliner Taxifahrer, vom Kunden im Fischgeschäft in Eppendorf bis zur Pulle Champagner von Siegfried Schober («ich bin Ihr Schüler») habe ich nur Gratulation und Bravo erhalten; auch von allerlei ZEITkollegen. Ich bin jedenfalls erleichtert – aus dieser Schlacht bin ich mal als Sieger hervorgegangen.
Deutsche Impressionen: Vor drei Tagen im Intercity nach Essen (ich brav zur mäßig bezahlten Vorlesung) treffe ich Siegfried Lenz; auf meine Frage – was soll man schon fragen im Zug – «Wohin geht’s denn?» verdrehte er seine Cockerspanielaugen und sagte: «Zum Präsidenten.» Mehr muß man nicht notieren. Jeder normale Mensch hätte gesagt: «Nach Bonn.» Ganz Deutschland, das ganze Kapitel GEIST UND MACHT in zwei Worten.
16. Februar
Hochirritierende Eigen-Lektüre: lese in alten Artikeln und Aufsätzen für die Zusammenstellung von Band III der Taschenbuchausgabe meiner Essays.
Bin bei der Härte und Schärfe etwa des Artikels BRUDER BAADER direkt baff, daß so was wirklich mal in der ZEIT stand, und dann doch so garnicht baff, daß ich da rausflog – als Summe solcher Beiträge.
Baff auch über den alten MERKURaufsatz DIE VERANTWORTUNG DES INTELLEKTUELLEN, der mir zwar leicht angestaubt erscheint, aber doch auch ehrlich und wichtig. War übrigens ein «teures Stück» – hat mich meine Berliner Professur gekostet, die mir anzubieten die Uni damals bis Reno, Nevada, nachtelefonierte – – – damit ich dann dort in Berlin zur ersten Vorlesung, am Schwarzen Brett, perfide Auszüge meiner Selbst«anklage» lesen durfte, ich habe im REIDShotel in Madeira im Luxus gelebt, während die Armen 2 Meter weiter … Ehrlich durfte man schon damals nicht sein.
Wie ein Nachklapp zu alldem aber auch ein geradezu widerliches FR-Interview dieser Tage mit Peter-Paul Zahl, für den ich mich schon damals gerade halsbrecherisch eingesetzt hatte. Jetzt sitzt er auf irgendeiner Karibik-Insel, ist «Sir Peter» und hat 2 Boardinghäuser zum Vermieten und schreibt Romane, die 70.000 Auflage haben. Meine nicht mal 7000 …
Nicht viel anders mit dem Herrn Boock, der zwar noch sitzt, aber in einer Art Luxushaft, der seinen ersten Roman ankündigt – aber KEIN MENSCH erinnert (sich) daran, daß ich, in dem Fall wirklich NUR ich es war, der ihn zum Schreiben ermunterte, der ihm mit Bölls Hilfe – bei Lamuv – zur Publikation verhalf. Den Mann gäbe es (als Autor) ohne mich nicht. Nun gibt es so selbstverständliche Meldungen, als handle es sich um das neueste Werk von Pasternak aus Peredelkino.
ALFRED HRDLICKA
Geburtstagsfest
26. Februar 1988
Ab 21.00 Uhr im Museum Moderner Kunst/Palais Liechtenstein,
Fürstengasse 1,
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