Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
ganzen Tag am Swimmingpool sitzen? Lesen – gut und schön. Aber ich habe MEIN GANZES LEBEN auf eine Produktion hin gelesen, jedes Buch, jeder Aufsatz, alles – es kam immer irgendwie später «hoch», selbst jeder Film, den ich sah, und jede Inscenierung wurde doch fruchtbar gemacht. Wie ginge das, einfach mal so Tournier lesen (ohne die Absicht, ein ZEITgespräch mit ihm zu führen)? Es ist wie der Unterschied von Onanie und Geschlechtsverkehr – wäre eine ziellose Beschäftigung um ihrer selbst willen. Mir fremd.
Januar
Abends Konrad Henkel (gestern abend noch) am Telefon, im besten Chauffeurs-Kölsch: «Meine Frau is noch am Essen», und: «Ich habe vorgestern Ihre Sendung gehört, über Fracia oder so – war ja schön lang.» Gemeint war mein Text über García Márquez. Diese Leute haben ein halbes Funkstudio im Auto, können dort eine Sendung mitschneiden, Telefon sowieso: aber verstehen kein Wort von dem, was sie hören, wenn es nicht über Wim Thoelke ist.
Danach Telefonat mit Thomas Brasch, der abends um 23 Uhr AUFSTAND (!!) und gerade essen gehen wollte, noch verschlafen-verkatert klang, nur unzusammenhängenden Quark von der «Verkommenheit des Kulturbetriebs» redet – und von den Segnungen des Kokains, ohne das er seinen Film nicht hätte beenden können; er habe darüber sogar kürzlich ein langes Interview gegeben – was ja wohl hoffentlich nicht erscheinen wird. Die knappe Frage «Und was machen Sie?» kam quasi schon in Hut und Mantel, und eine Antwort war auch nicht erwartet.
31. Januar
Gestern schön-farbiges Fest bei Flimm, wo «ganz Hamburg» (minus der albernen Leute, die den Presseball vorzogen) war. Flash-Light: Der KULTURbeauftragte der SPD und Bundestagsabgeordnete Duve schneidet sich die Haare selber: «Das hat mir in 20 Jahren einen VW zusammengespart.» Der Kultursenator Ingo von Münch: «Ich möchte einen FJR-Literatur-Kritikerpreis stiften.» Peter Zadek: «Das ist ja klar – du wirst mein Nachfolger als Intendant des Schauspielhauses.» Eine Schauspielerin: «Ach, SIE sind der berühmte Raddatz – ich lese immer Ihre Leitartikel.»
Alles ähnlicher Humbug. So, wie ich neulich den Literaturredakteur der ZEIT in einem Restaurant traf, ich aß ein paar Austern vorm Theater (in das er nicht ging) – er trank einen Kaffee «ab», weil er beim Kauf einer Kaffeebüchse einen Bon bekommen hatte.
Grass kündigt seinem alten Duz-Freund Werth die Freundschaft und verbietet seinen Kindern, mit der Tochter weiter zu verkehren, weil in der SZ eine Glosse über seinen New Yorker PENauftritt (vermutlich wirklich schief) stand.
3. Februar
Gestern kurz auf einen Drink im Literaturhaus, wo Guntram Vesper las (deswegen ging ich hin – nicht zur Lesung, zum guten Tag sagen). Dort der spitzmündig beleidigte Kunert (weil er einmal bei mir nicht eingeladen war) und, sehr amüsant, Michael Krüger, der die schnurrigsten Geschichten vom Katastrophen-Lettau erzählte: Er kann nur mit einem bestimmten Bleistift Korrekturen lesen, den sucht er, während er ihn in CALIFORNIEN!!!! anruft – es gibt nur EIN Unglück auf der Welt, konzentriert, auf EINE Person: Lettau.
War dort mit Antje Ellermann, die heute abend hier zum Fischsüppchen ist und ißt: Man wird nicht klug daraus, ob sie nun eigentlich einen Verlag hat oder nicht, einen Mann oder nicht und ob sie selber Geld zum Leben hat, gar reich ist – oder nicht. Aber ich mag sie sehr.
Danach langes Telefonat mit Hochhuths Frau – er ist offenbar tief getroffen von der in der Tat unvernünftigen, viel zu rotzig-kurzen und am Impetus seiner Arbeiten vorbeigehenden Kritik in der ZEIT (auch die von einem Namenlosen – ist das die neue Masche?). Hochhuth habe sich seit drei Tagen geweigert, das Bett zu verlassen. Mir geht’s ähnlich – neuerdings lege ich mich nachmittags 1 Stunde hin: Alter, Müdigkeit oder Erschöpfung von den EWIGEN Kämpfen? In meinem Alter müßte doch das Leben nun seinen geregelten Gang gehen, die Finanzen überschaubar gesichert, die Lebensbahn sich neigend, aber erkennbar. Bei mir ist alles Zickzack, Durcheinander und unlogische Diskontinuität: ein neuer, Nutria-gefütterter Mantel, aber innen zitternd.
7. Februar
In meiner wachsenden Bitterkeit und Verkrauchtheit verwundert über die Munterkeit z. B. von Grass, den ich gestern zum Tee besuchte. Sitzt vergnügt in seinem Haus, zwischen Kisten und Kartons, von 2 Tölen umkläfft, und freut sich seines Lebens, seines Ruhms und seiner selbst. Erzählt witzige
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