Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Trompetenblumenstrauß.
Gestern Stadtbummel, Kasbah. OMO-Pappe für die Schuhe im Moschee-Eingang.
Museum: Keramiken! Meknès, Tétouan, Zagora, Safi, Fassil (= Fès). Kleine Delacroix-Ausstellung: «Extraits des Carnets du Maroc» – überwölbt von mächtigem Palmenschnitzwerk. Kasbah-Terrasse (am Museum), Blick übers Meer nach Spanien und Gibraltar.
Kinder «am Schnürchen» vor winzigen Löchern, in denen andere knien: Ich dachte, sie spielen – sie spulen aber Garn.
Place Souk Dakhil beim Mint-Tee Totenprozession mit grün überdecktem Sarg (Grün = Farbe des Propheten) und Klage-Heul-Gesang.
Im Café: Kapuzen-Männer spielen Tric-Trac mit zerknautschtem Zettel in der Hand.
Nachmittags bei Paul Bowles. Zu früh. Frage in einem Kramladen – «Ah, Sie wollen zu Monsieur Paul» –, man bittet mich, Platz zu nehmen: Sitze auf einem Palmolive-Karton zwischen «Cake Orient», Zwiebeln, Kartoffeln und Eiern (die ich umstieß) und trinke 1 Tonic. Im Laden ein Schwatz, bald mit dem dazugekommenen, kriegerisch ausstaffierten Polizisten.
Bowles wohnt in einem 50er-Jahre-Bunker, winziges Loch von Wohnung, verkramt, niedrige Sitz-Kissen. Verabschiedet gerade einen paraguayischen Autor, den er übersetzt. Steht, schmal, elegant, englisch wirkend in hellen Gabardinehosen mit dickem dunkelbraunem Pullover, vor dem brennenden Kamin bei einer Temperatur, wie den ganzen letzten Sommer nicht in Hamburg! Verläßt Tanger nicht, seit es keine Schiffe mehr gibt: «Flugzeuge benutze ich nicht.» (Im Flur wie eine moderne Assemblage Stapel uralter Koffer.) Streng ritualisiertes Leben – morgens Markt und Post (kein Telefon, kein TV), mittags Essen zu Hause, nachmittags arbeiten, um 18.00 zu Bett (ißt abends im Bett). Ein aus langer Pfeife sich mehr und mehr bekiffender, mehr und mehr dämmernder «Diener!». Chauffeur – es ist schließlich 17 Uhr – erscheint nicht («liest wohl Chomeini-Propaganda-Broschüren»), Magd auch nicht.
Bowles, der betont: «I didn’t want to live a literary life», erzählt von Genet, Sartre (in Washington rasend-nervös ihm von Genet erzählend), dessen «Huis Clos» er übersetzt hat, Baldwin, Capote, Gore Vidal, Comtesse de Nouailles (in Saint-Paulde-Vence), Henry Miller, Moravia – und Bertolucci, der vergangene Woche abends um 23 Uhr direkt vorm Eingang zu diesem Hotel ausgeraubt wurde!
Er ist so uneitel, daß in den 2 Bücher-Regalen nur Paul-Bowles-Bücher stehen, und so ohne Widerspruch, daß er – der Übersetzer – auf meine Frage nach seiner Kenntnis deutscher Literatur sagt: «Ich lese keine Übersetzungen.» Nachmittags Jung-Autor aus Guatemala zum Drink. Abends Essen im «Romero», Kellner bei der Bestellung Gähnkrampf, beim Zahlen bittet er mich um eine Davidoff-Cigarre. Der 2. Kellner schlief im Stehen. Die Eile fällt in Schichten ab.
Heute per Taxi zum Cap Spartel, herrliche kleine Gischt-Bucht, winziges «Restaurant» Café del Sol.
Fahrt entlang den mächtigen Besitzungen des Königs, der Königin-Mutter (eine in den Felsen), des Königs von Kuwait und der sudanischen Königsfamilie – z. T. 40 Villen auf einem Anwesen.
El Minzah Hotel, Tanger, den 21. März
Abwegig-absurder Tag bei Paul Bowles, wo als erster wieder der junge Autor aus Guatemala oder Paraguay in der Wohnung stand (wie sich herausstellte: Er serviert dort das Mittagessen). Bowles erschien, wieder sehr elegant, in sehr abgestimmten Farben Pulli – Hose, diesmal taubenblau. Aber ich finde das «Entrée» nicht, er ist wohl im Kopf bereits arabisch, also a-rational. Er liest nicht, interessiert sich nicht für diese Welt – aber empfängt «Stern» und ZEIT; er fragt kein Wort nach mir, was ich eigentlich bin und arbeite – aber läßt sich 2 x am Tag zur Post fahren. Er wohnt seit 30 Jahren in dieser scheußlichen kleinen dunklen Wohnung, in der tagein, tagaus, the year through, der Kamin brennt: «I’m buying the olive-wood by tons and spend more money on it than on food», aber leistet sich einen Ford-Mustang und «Fahrer», mit dem er täglich ein paar 100 m fährt. Er liest angeblich keine zeitgenössische Literatur – urteilt aber schroff über John Barth, Barthelme, Pynchon und vor allem «all these East-Coast jews like Philip Roth or Saul Bellow». Hemingway, wenn aus dem Gefühl, nicht mehr schreiben zu können, habe sich «viel zu spät» erschossen.
Auf den bodenflachen Kissen saß auch wieder bekifft und weiterkiffend dieser Mrabet, von dem es mehrere Bücher (recorded and
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