Tagebücher
>Schweig"< rief ich deshalb, den Kopf zum Mädchen hingedreht. "Oh gemeiner Mensch" stöhnte der Mann leise, er verbrauchte an mir alle seine Kraft. Immerhin schleppte er mich noch zum Kanapee, legte mich hin, kniete auf meinem Rücken nieder, wartete die Wiederkehr der Sprache ab und sagte: "Da liegt er also." "Er soll es noch einmal versuchen" wollte ich sagen, aber schon nach dem ersten Wort drückte er mir das Gesicht so stark in die Polsterung, daß ich schweigen mußte. "Nun ja" sagte das Mädchen, das sich an meinen Tisch gesetzt hatte und einen dort liegenden angefangenen Brief überlas. "Werden wir nicht schon gehn? Er hat gerade einen Brief angefangen. " "Er wird ihn auch nicht fortsetzen, wenn wir fortgehn. Komm mal her. Greif z. B. hier an den Schenkel, er zittert ja wie ein krankes Tier. " "Ich sage laß ihn und komm. " Sehr widerwillig kroch der Mann von mir hinunter. Ich hätte ihn jetzt durchprügeln können, denn ich war jetzt ausgeruht, er aber hatte alle Muskeln angespannt, um mich niederzuhalten. Er hatte gezittert und hatte geglaubt ich zittere. Er zitterte sogar noch immer. Ich ließ ihn aber in Ruhe, weil das Mädchen zugegen war. "Sie werden sich wahrscheinlich Ihr Urteil über diesen Kampf schon selbst gebildet haben" sagte ich zu dem Mädchen, gieng mit einer Verbeugung an ihm vorüber und setzte mich zum Tisch um den Brief fortzusetzen. "Wer zittert also?" fragte ich, ehe ich zu schreiben anfieng und hielt den Federhalter zum Beweis, daß ich es nicht war, steif in die Luft. Schon im Schreiben rief ich ihnen als sie in der Tür waren, ein kurzes Adieu zu, schlug aber ein wenig mit dem Fuß aus, um wenigstens für mich die Verabschiedung anzudeuten, die wahrscheinlich beide verdient hätten.
29 V 14 Morgen nach Berlin. Ist es ein nervöser oder ein wirklicher verläßlicher Zusammenhalt den ich fühle. Wie wäre das? Ist es richtig, daß man einmal die Erkenntnis des Schreibens erhält, nichts verfehlt werden kann, nichts versinkt, aber auch nur selten etwas übermäßig hoch emporschlägt. Wäre es das Herandämmern der Ehe mit F. P Sonderbarer mir allerdings in der Erinnerung nicht ganz fremder Zustand.
Lange mit Pick vor dem Tor gestanden. Nur daran gedacht, wie ich bald loskommen könnte, denn mein Erdbeernachtmahl war oben für mich vorbereitet. Alles was ich jetzt über ihn schreiben werde, ist eine Gemeinheit, denn ich lasse ihn nichts davon sehn oder bin zufrieden, daß er es nicht sieht. Aber ich bin sogar mitschuldig an seinem Wesen, solange ich mit ihm gehe und so gilt das was ich von ihm sage auch von mir, selbst wenn man die Künstelei abzieht, die in einer solchen Bemerkung liegt:
Ich mache Pläne. Ich sehe starr vor mich hin, um nicht die Augen von den imaginären Gucklöchern des imaginären Kaleidoskops zu entfernen in das ich schaue. Ich mische gute und eigennützige Absichten durcheinander, die guten werden in der Farbe verwaschen, die dafür auf die bloß eigennützigen übergeht. Ich lade Himmel und Erde ein, sich an meinen Plänen zu beteiligen, aber ich vergesse nicht an die kleinen Leute, die aus jeder Seitengasse hervorzuziehen sind und die vorläufig meinen Plänen besser nützen können. Es ist ja erst der Anfang immer wieder erst der Anfang. Noch stehe ich hier in meinem Jammer, aber schon kommt hinter mir der ungeheuere Wagen meiner Pläne angefahren, die erste kleine Platform schiebt sich unter meine Füße, nackte Mädchen, wie auf Carnevalswagen besserer Länder führen mich rücklings die Stufen empor, ich schwebe weil die Mädchen schweben und hebe meine Hand, die Ruhe befiehlt. Rosenbüsche stehn zu meiner Seite, Weihrauchflammen brennen, Lorbeerkränze werden herabgelassen, man streut Blumen vor und über mich, zwei Trompeter wie aus Steinquadern aufgebaut blasen Fanfaren kleines Volk läuft in Massen heran, geordnet hinter Führern, die leeren blanken gerade geschnittenen freien Plätze werden dunkel, bewegt und überfüllt, ich fühle die Grenze menschlicher 168
Bemühungen und mache auf meiner Höhe aus eigenem Antrieb und plötzlich mich berkommendem Geschick das Kunststück eines vor vielen Jahren von mir bewunderten Schlangenmenschen, indem ich mich langsam zurückbeuge - eben versucht der Himmel aufzubrechen, um einer mir geltenden Erscheinung Raum zu geben, aber er stockt - den Kopf und Oberkörper zwischen meinen Beinen durchziehe und allmählich wieder als gerader Mensch auferstehe. War es die letzte Steigerung, die Menschen gegeben ist.
Weitere Kostenlose Bücher