Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
sagte Judith, während die Kellnerin die Vorspeise abräumte.
Nils blickte der Kellnerin versonnen hinterher. Judith wusste, dass sie sich gerade endgültig als Kunstbanausin geoutet hatte.
„Mein Vater lebte für diese Ölschinken, wie Sie es nennen“, sagte Nils und goss ihr einen Schluck Weißwein nach. „Er war davon besessen. Jedes einzelne Stück wollte er wiederhaben.“
„Wiederhaben?“
„Vielleicht war er einfach auf der Suche nach seiner Vergangenheit, nach seinen Wurzeln. Ich weiß nicht, was mein Vater gemacht und gedacht und getan hat. Wir haben uns nicht sehr häufig gesehen.“
„Heißt das, dass Sie erst in der Klinik arbeiten, seitdem Ihr Vater ermordet wurde?“, fragte Judith.
Nils nickte. „Natürlich. Tante Linda braucht mich jetzt, außerdem habe ich gerade erst meine Facharztausbildung abgeschlossen. Aber Sie werden ja sicher noch mit meiner Tante für Ihr Feature sprechen, sie wird Ihnen alles über ihre geliebte Klinik erzählen.“
„Wie geht es Ihrer Tante jetzt?“, fragte sie.
„Sie ist ziemlich verschreckt“, sagte er.
„Kein Wunder. Da kommen ein paar maskierte Männer, fesseln sie und versuchen sie auszurauben. Das kann ganz schön traumatisch sein“, sagte Judith. „Hat die Polizei schon etwas herausgefunden, was auf die Spur der Täter führen könnte?“
„Das sagen sie uns natürlich nicht. Aber Tante Linda und meine Mutter haben Angst, dass so etwas noch mal passiert, aber diesmal in der Remise. In der Klinik gibt es nicht viel zu klauen.“
„Komisch eigentlich. Haben die gehofft, Bargeld zu finden?“
„Sie haben versucht, Tante Linda dazu zu bewegen, den Safe zu öffnen. Also, was sollen sie sonst gesucht haben?“
Gute Frage, Nils Sprengler, dachte Judith.
Bei der Hauptspeise wich er auf Mahler aus. Sie musste zugeben, dass er wirklich interessant über Mahler erzählen konnte, er erklärte ihr die Musik so, dass Judith sie fühlen konnte. Seine sonst etwas schläfrigen Augen bekamen plötzlich einen Glanz, der nicht nur vom Wein kam, seine hängenden Schultern strafften sich. Der Wein hatte auch Judith ein bisschen benebelt, und als Nils sich kurz entschuldigte, nahm sie sich fest vor, sich nicht in diesen Mann zu verlieben. Konzentriere dich, sagte sie sich. Sie brauchte etwas Handfestes, sie brauchte etwas, womit sie zeigen konnte, dass sie ihr Handwerk gelernt hatte.
Als Sprengler von der Toilette zurückkam, lächelte er wieder dieses kleine Jungenlächeln, von dem Judith instinktiv wusste, dass sie sich davor hüten musste. Er setzte sich ihr gegenüber und Judith entschied angesichts der vorbeiziehenden und neugierig gaffenden Touristen, dass Nils und sie die Fische im Aquarium waren. Sie schwammen umeinander herum. Er stützte die Arme auf die Tischplatte, verschränkte die Hände unter dem Kinn und schaute ihr tief in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand und überlegte fieberhaft, wie sie das Gespräch wieder auf seinen Vater bringen konnte.
„Was wollte er wiederhaben, Ihr Vater?“ Sie versuchte es ganz direkt. Nils seufzte. Es war unverkennbar, dass er lieber über etwas anderes gesprochen hätte.
„Die Bilder, die im Laufe von Generationen von unserer Familie gesammelt wurden“, sagte er. Judith schwieg und fummelte an der dürren Blume herum, die dieses Aquarium dekorieren sollte. Nils berührte wie zufällig ihre Hand. Die kleinen Härchen auf ihrem unteren Rücken erwachten zum Leben und stellten sich auf.
Wieso wiederhaben?, wollte sie fragen, aber sie konnte nicht. Sie wusste, dass ihre Stimme sich rau anhören würde.
„Sie haben Augen wie Moor“, sagte er.
Was zum Teufel meinte er damit? Sie zog eine Augenbraue fragend hoch. „Warm, feucht, und man muss aufpassen, nicht verschlungen zu werden“, sagte er.
„Haben Sie Angst, von mir verschlungen zu werden?“, fragte Judith, der plötzlich egal war, wie ihre Stimme klang.
„Nichts wünsche ich mir mehr, Moorauge“, sagte er.
Eindeutig Fische, dachte sie. Und sie dachte in diesen Sekunden noch sehr viel mehr, zum Beispiel daran, dass sie ihren besten, schwarzen Spitzenslip anhatte, und dass gleich jemand kommen würde und ihnen Futter in das Aquarium werfen würde, und dass ihre Härchen sich aufgestellt hatten, und dass sie morgen frei hatte, und dass Sven ein Arschloch war, und dass sie aufpassen musste, sich nicht in Nils Sprengler zu verlieben.
„Ich kann kein Instrument spielen“, sagte sie, ohne zu denken.
„Oh doch, ich bin sicher, dass du das
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