Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
eine etwas weitschweifige Art zu reden, wohl eine Alterserscheinung, dachte Hüseyin. Er sprach fast fehlerfrei deutsch, allerdings mit einem dicken amerikanischen Akzent. Dabei war Bernie nicht etwa in den USA geboren worden, sondern irgendwo in den Karpaten, da, wo normalerweise die Vampire herkommen.
„Was haben Sie eigentlich der Polizei erzählt?“, fragte Hüseyin. Er hatte das Gedächtnisprotokoll gelesen, das Alice bei Bernies Besuch angefertigt hatte, einen Tag vor Sprenglers Beerdigung in Berlin.
„Ich gehöre in die Feuilletons. Mein Privatleben hat nichts in den Skandalblättern zu suchen“, sagte Bernie. „Natürlich habe ich der Polizei erzählt, dass er hier zum Abendessen war, und dass er bekam einen Anruf. Von seinem Vorhaben habe ich nichts gesagt, es hätte den Spekulationen Tür und Tor geöffnet.“
„Deshalb haben Sie Alice gebeten, ein bisschen nachzuforschen?“, fragte Hüseyin, der sich dabei überlegte, dass Bernie von Sigurds Besuch auch nur der Polizei berichtet hatte, weil der Standort der Anrufannahme eventuell zurückverfolgt werden konnte.
„Exakt, junger Mann. Wie also wollen Sie vorgehen?“, fragte Bernie.
Wow, dachte Hüseyin, der geht aber ran. „Ich werde mich mit einigen Galeristen hier treffen und Erkundigungen über die Bilder und über Mort Eisenman einholen. Sie sagten, Sie kennen Mort Eisenman?“
„Natürlich, soll ich für Sie vielleicht einen Termin bei ihm machen?“, fragte Bernie. Hüseyins Herzschlag beschleunigte sich. „Das wäre genial“, sagte er lächelnd.
„Ich machen Ihnen einen Vorschlag“, sagte Bernie. „Meine Sekretärin ruft ein paar Galeristen an, die mich regelmäßig einladen, ihre Vernissagen mit meiner Anwesenheit zu dekorieren. Ich nehme an, dass Sie ein Buch mit Arbeitsproben dabei haben?“
„Selbstverständlich“, sagte Hüseyin.
„Gut, dann werden Sie annonciert werden als das, was Sie ja auch sind, das junge Genie aus Berlin.“ Hüseyin merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg.
„Das wollen Sie tun?“, fragte er ungläubig. „Sie setzen Ihren guten Ruf aufs Spiel.“
Bernie lachte. „Junge, ich habe von Malerei so viel Ahnung wie vom Fliesenlegen. Aber wenn meine Exfrau sagt, Hüseyin Aydin ist der kommende Mann in der Kunstszene, dann kann ich mich darauf verlassen. Sie hat ein Händchen für Talente. Das sehen Sie ja an mir.“ Bernie lächelte ein schiefes Lächeln.
„Hat sie Ihnen auch geholfen?“, fragte Hüseyin.
„Ich würde heute noch Beethovens Neunte mit einem Kirchenchor aus Albuquerque dirigieren, wenn Alice nicht gewesen wäre.“
Hüseyin lachte. Natürlich glaubte er Bernie nicht.
„Zeit ins Bett zu gehen“, sagte Bernie. „Schlafen Sie gut.“
Elkes Auftritt
Kurz vor Feierabend kam ein Anruf aus dem Krankenhaus Westend. Elke Friedrichs war gerade in die Notaufnahme eingeliefert worden.
„Sie ist niedergeschlagen worden“, schrie Maria. Alice stand aus ihrem Rollstuhl auf und schrie Maria an, sie solle sofort den Wagen holen. „Harry, hol den Wagen“, flüsterte Maria, als sie an Judith vorbeistürmte. Hüseyin weilte noch in New York und Oliwia in ihrer Elite-Uni. Lady Kaa war blass geworden. Judith kam sich nutzlos vor.
„Sie halten Stallwache, Judith“, befahl Lady Kaa, bevor sie mit zwei Krücken zur Tür humpelte. Okay, also Stallwache. Wozu eigentlich? Judith hatte keine Ahnung. Sie hängte sich an den Computer und guckte, was es Neues in ihrem Facebook gab. Vom Handy aus rief sie bei Nils an. Vielleicht würde er ihr ja etwas über Elke erzählen können. Natürlich hatte sie die Ahnungslose zu spielen. Ja, er sei noch in der Klinik, sagte er. Nicht einen Ton über Elke. Was war mit ihr? War sie auf dem Weg nach Hause niedergeschlagen worden? Warum war sie in einem öffentlichen Krankenhaus und wurde nicht in der Klinik von Nils versorgt? Schließlich waren zwei Ärzte im Haus, ihr hatte er ja auch einen Druckverband angelegt. Nils, bitte, betete sie im Stillen, erzähl mir, was passiert ist.
„Ich freue mich auf morgen“, sagte sie. Er freue sich auch, wirklich, er freue sich. In Judiths Magen bildete sich ein Knäuel. Freue ich mich wirklich?, fragte sie sich, als sie aufgelegt hatte. Kurz darauf erhielt sie einen Anruf, der nicht für sie bestimmt war.
Sabine Sprengler war am Apparat. Total aufgelöst. Sie müsse sofort Alice sprechen. „Tut mir leid, Frau Sprengler, Frau von Kaldenberg ist im Moment nicht im Hause, darf ich ihr was ausrichten?“, fragte
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