Tages-Deal: Kudamm 216 - Erbsünde (German Edition)
Judith mit Sekretärinnentimbre.
„Ja“, sagte die Sprengler, „sie soll mich bitte unbedingt anrufen, es ist etwas passiert.“
„Geben Sie mir ein Stichwort“, sagte Judith und fand, dass an ihr wirklich eine großartige Sekretärin verloren gegangen war.
„Wir sind schon wieder überfallen worden, unsere neue Haushälterin ist niedergeschlagen worden“, sagte sie.
„Ist die Haushälterin schwer verletzt?“, fragte Judith.
„Ich weiß es nicht, mein Sohn hat dafür gesorgt, dass sie sofort ins Krankenhaus gebracht wurde.“ Nils, du bist ein beschissener Lügner!
„Ich werde es Frau von Kaldenberg ausrichten“, flötete Judith in den Hörer. Da lief etwas schräg. Und Sabine Sprengler hatte keine Ahnung, worum es ging. Genauso wenig wie Judith. Deshalb war sie auch sehr erstaunt, als Lady Kaa gut gelaunt und lachend zum Kudamm zurückkam. Elkes Verletzungen schienen also nicht so schlimm zu sein.
„Es geht ihr den Umständen entsprechend“, hatte Alice gesagt.
Zur Bleiche
Linda war kurz davor zu schnurren. Sie hatte sich ein Granatapfel-Ganzkörperpeeling im Hamam gegönnt. Die Masseurin schäumte sie gerade mit einem Rohseidehandschuh ein. Linda war vollkommen verspannt, in das Hotel Zur Bleiche zu fahren war die richtige Idee gewesen, fand sie. Sie schloss die Augen, sog tief den süßen Duft des Granatapfels ein und ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit reisen.
Es war auf Siggis Abiturfeier. Vater hatte Siggi erlaubt, dass er ein großes Fest für seine Klassenkameraden gab. Siggis Freundin tat, als ob sie bei den Sprenglers zu Hause sei. Linda konnte sich nicht entsinnen, dass sie jemals einen Menschen so sehr gehasst hatte wie diese blöde Ziege mit dem Pferdeschwanz. Die Mädels trugen Petticoats. Alle, außer Linda. Linda hatte hautenge Jeans und ein Ringel-T-Shirt an und trug dazu Ballerinas. Sie rauchte farbige Zigaretten in Buntstiftfarben mit goldenem Mundstück, die ihr Vater aus Amerika mitgebracht hatte. Linda fand sich schrecklich mondän. Alle außer ihr tanzten Rock ’nʼ Roll, Herbert, ein Klassenkamerad von Siggi, wich ihr nicht von der Seite. Linda wollte nicht tanzen, sie fand diese Menschen blöd und einfältig. Obwohl sie zwei Jahre jünger war als ihr Bruder, kam sie sich Jahrzehnte älter vor. Scheinbar gelangweilt stand sie in der Ecke und beobachtete seine Freunde. Innerlich kochte sie. Vor Wut? Vor Eifersucht? Es musste etwas geschehen. Bald. Denn Siggi würde zunächst ein Jahr nach Amerika gehen, um zu studieren. Und dann? Er würde sie in Berlin ganz alleine lassen, mit einem Vater, den sie nicht interessierte und einem Hausmädchen, das dumm wie eine Kuh war. Wenn sie daran dachte, dass Siggi sie verlassen würde, dann fühlte es sich in ihr drinnen an, als ob sich glühende Lava von ihrem Herzen aus in den Magen ergoss. Siggi und die Pferdeschwanzbraut tanzten einen Blues und knutschten dabei wild. Linda drehte sich der Magen um. Sie musste das verhindern! Sie fixierte ihren Bruder so lange, bis er es offensichtlich merkte. Er blinzelte, schaute sie an, während seine Zunge in dem Mund rumwühlte, in dem sie nichts zu suchen hatte. Linda nippte an dem Whiskey, den sie damals chic fanden, leckte ihre Lippen und warf ihre Haare nach hinten. Das hatte sie in einem Film mit Brigitte Bardot beeindruckt, sie hoffte, dass das jetzt auch ihren Bruder beeindrucken würde. Sie würde ihn sich holen, in dieser Nacht, nahm sie sich vor. Sie war 16.
Natürlich passierte in dieser Nacht gar nichts, denn ihr Bruder war total betrunken. Er kotzte sich auf dem Gäste-Klo die Seele aus dem Leib. Immerhin. Die meisten Gäste schafften es nicht zum Klo, sondern erbrachen sich auf die Rosen vor der Haustür.
Drei Tage später verlor Linda ihre Unschuld. Siggi hatte keine Chance.
Der Tod in Juan-les-Pins
Es war früher Nachmittag als sie in Juan-les-Pins ankamen. Judith hatte Mühe gehabt, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie Nils gegenüber misstrauisch geworden war. Nicht ein Wort über den Einbruch in der Villa, nicht ein Wort über Elke. Dafür war er so lieb und zuvorkommend, dass es schon fast unheimlich war. Dagegen waren die Männer in ihrem früheren Leben echte Stoffel. Nils hatte sie mit dem Taxi zu Hause abgeholt. Von Schönefeld ging ein Flieger direkt nach Nizza, wo Carlotta sie am Flughafen erwartete.
Himmel, was für ein ätherisches Wesen! Carlotta war so dünn, dass man Angst haben musste, dass eine kleine Windböe sie umpusten würde. Sie hatte
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