Tai-Pan
Europäern betrachtete er den Osten als seine Heimat. Alle anderen kamen nur auf ein paar Jahre und reisten wieder ab. Es blieben nur, die starben. Aber auch sie bestimmten im Testament, wenn sie es sich leisten konnten, daß ihr Leichnam ›nach Hause‹ gebracht würde.
Ich werde mich in Macao begraben lassen, Gott sei Dank, sagte er zu sich. So schöne Zeiten habe ich dort verlebt – wir alle eigentlich. Aber das ist vorbei. Hol der Teufel den Kaiser von China! Was für ein Idiot, ein Gebäude einzureißen, das vor einem Jahrhundert mit solchem Geschick errichtet worden ist.
Alles hatte so gut geklappt, dachte Quance verbittert, aber jetzt ist es zu Ende. Jetzt haben wir uns Hongkong genommen. Und jetzt, da England im Osten festen Fuß gefaßt hat und die Händler von der Macht gekostet haben, werden sie sich nicht mit Hongkong allein begnügen. »Na schön«, sagte er unbewußt laut, »der Kaiser wird ernten, was er gesät hat.«
»Warum so niedergeschlagen, Mr. Quance?«
Quance setzte seine Brille auf. Morley Skinner stand unten an der Anhöhe.
»Nicht niedergeschlagen, junger Mann. Traurig. Künstler haben ein Recht darauf – jawohl, eine Verpflichtung – traurig zu sein.« Er stellte das unfertige Bild beiseite und befestigte einen sauberen Bogen Papier auf seiner Staffelei.
»Ganz Ihrer Meinung, ganz Ihrer Meinung.« Skinner stapfte schwerfällig den Hang hinauf. Seine hellbraunen Augen sahen aus wie der Bodensatz von abgestandenem Bier. »Ich wollte Sie nur gerade nach Ihrer Ansicht über diesen entscheidenden Tag fragen. Möchte nämlich eine Sondernummer herausgeben, aber ohne ein paar Worte von unserem ältesten Mitbürger wäre eine solche Nummer nicht vollständig.«
»Ganz richtig, Mr. Skinner. Sie dürfen also sagen: ›Mr. Aristoteles Quance, unser führender Künstler, Bonvivant und geliebter Freund, hat es abgelehnt, eine Erklärung abzugeben, da er gerade damit beschäftigt war, ein neues Meisterwerk zu schaffen.‹« Er nahm eine Prise Schnupftabak und nieste gewaltig. Dann wischte er mit seinem Taschentuch den verstreuten Schnupftabak von seinem Gehrock und die Niesflecken vom Papier. »Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Sir.« Wieder konzentrierte er sich auf das Papier. »Sie wirken sich störend auf die Unsterblichkeit aus.«
»Ich weiß genau, wie Ihnen zumute ist«, antwortete Skinner mit einem freundlichen Kopfnicken. »Weiß, was Sie empfinden. Mir geht es auch so, wenn ich etwas Wichtiges zu schreiben habe.« Er stampfte davon.
Quance traute Skinner nicht über den Weg. Das tat niemand. Zumindest keiner, der in seiner Vergangenheit irgendeinen dunklen Fleck hatte, und hier hatte jeder etwas, was er verbergen wollte. Skinner aber machte sich ein Vergnügen daraus, die Vergangenheit auszugraben.
Die Vergangenheit. Quance dachte an seine Frau und erschauerte. Donnerschlag noch eins! Wie hatte ich auch so dumm sein können, mir einzureden, dieses irische Ungeheuer könnte eine passende Frau abgeben? Gott sei Dank ist sie in ihr irisches Moor zurückgekehrt und hat niemals wieder mein Firmament verdunkelt. Die Frauen sind die Ursache aller Leiden der Männer. Na ja, fügte er vorsichtig hinzu, nicht alle Frauen. Nicht die liebe, kleine Maria Tang. Das sinnlichste Mädchen, das ich jemals gesehen habe. Und wenn jemand eine unnachahmliche Kreuzung von Portugal und China kennengelernt hat, so bist du es, mein lieber, schlauer Quance. Verdammt, ich führe ein herrliches Leben.
Da wurde ihm bewußt, daß er, wenngleich Zeuge des Endes einer Epoche, auch ein Teil der neuen war. Nun wurde wiederum Geschichte gemacht, und er würde zuschauen und darüber berichten. Ein Augenzeuge. Neue Gesichter, die man zeichnen konnte. Neue Schiffe zu malen. Eine neue Stadt, die er festhalten mußte. Und neue Mädchen, mit denen er flirten würde, und neue kleine Hintern zum Tätscheln.
»Traurig? Niemals!« brüllte er. »Mach dich an die Arbeit, Aristoteles, du alter Esel!«
Die Männer am Strand, die Quance hörten, lachten einander zu. Er war ungemein beliebt, und alle suchten seine Gesellschaft. Manchmal führte er Selbstgespräche.
»Dieser Tag wäre ohne unseren guten, alten Aristoteles nicht vollkommen«, sagte Horatio Sinclair lächelnd.
»Ja.« Wolfgang Mauss kratzte sich den Bart, weil ihn die Läuse bissen. »Er ist so häßlich, daß einem sein Gesicht fast wohltut.«
»Mr. Quance ist ein großer Künstler«, erklärte Gordon Tschen. »Daher ist er auch schön.«
Mauss wandte sich
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