Tai-Pan
Stellung eines Dolmetschers auf seinen Schmuggelfahrten die Küste entlang angeboten hatte. Dafür erlaubte er Mauss auch, wo immer das Schiff vor Anker ging, chinesische Bibeln und Traktate zu verteilen und vor den Heiden zu predigen – jedoch erst nachdem das Opiumgeschäft abgeschlossen war. Er konnte sich vorstellen, daß Mauss sich selber verachtete, weil er ein solcher Heuchler war und sich an so üblen Geschäften beteiligte. Weil er sich gezwungen sah, sich einzureden, daß der Zweck die Mittel heilige, obwohl er ganz genau wußte, wie wenig dies zutraf.
Du bist ein sonderbarer Mann, Wolfgang, dachte er. Er erinnerte sich jenes Tages im vergangenen Jahr, als er sich nach der Besetzung auf die Insel Tschuschan begeben hatte. Mit Einverständnis des Tai-Pan hatte Longstaff Mauss vorläufig zum Polizeichef ernannt, um das Kriegsrecht und die britischen Gesetze durchzusetzen.
Entgegen allen Gepflogenheiten waren in Tschuschan strenge Befehle erlassen worden, die jedes Plündern untersagten. Mauss hatte jedem Plünderer – ob Chinese, Inder oder Engländer – einen fairen Prozeß in einer öffentlichen Verhandlung gemacht. Aber er hatte jeden einzelnen zum Tod durch den Strang verurteilt, wobei er sich stets der gleichen Worte bediente: »Gott im Himmel, vergib diesem armen Sünder. Hängt ihn.« Das Plündern hörte bald auf.
Da Mauss zwischen den einzelnen Hinrichtungen im Gerichtssaal gern seinen Gedanken nachhing, hatte Horatio erfahren, daß er dreimal verheiratet gewesen war, jedesmal mit einer Engländerin, die beiden ersten waren an der Ruhr gestorben, die augenblickliche war kränklich; daß Mauss zwar ein hingebungsvoller Gatte war, der Teufel ihn jedoch noch immer mit Erfolg zum Besuch der Bordelle und Ginkneipen in Macao verleitete; daß Mauss sein Chinesisch von den Heiden in Singapur gelernt hatte, wohin er als junger Missionar entsandt worden war; daß er von den vierzig Jahren seines Lebens zwanzig in Asien verbracht hatte, ohne ein einziges Mal nach England zurückzukehren; daß er jetzt stets mit Pistolen im Gürtel umherlief, denn: »Man weiß nie, Horatio, ob einen diese heidnischen Teufel umbringen wollen oder diese heidnischen Piraten ausrauben.« Daß er alle Menschen als Sünder betrachtete – sich selber zuallererst; und daß es sein einziges Lebensziel war, die Heiden zu bekehren und China in ein christliches Land zu verwandeln.
»Woran denken Sie?« Horatio wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen.
Mauss stand vor ihm und betrachtete ihn forschend. »Ach, an nichts weiter«, erwiderte er hastig. »Ich habe … ich habe eben nur nachgedacht.«
Mauss kratzte sich besinnlich den Bart. »Ich auch. Das ist so ein Tag zum Nachdenken, nicht? In Asien wird nichts mehr so bleiben, wie es war.«
»Nein. Wahrscheinlich nicht. Werden Sie von Macao wegziehen und sich hier niederlassen? Hier bauen?«
»Ja. Es wird schön sein, Land zu besitzen, eigenen Grund und Boden, weit weg von diesem papistischen Pfuhl. Meiner Frau wird es gefallen. Aber mir? Ich bin meiner Sache nicht so sicher. Ich gehöre dorthin«, fügte Mauss von Sehnsucht überwältigt hinzu und wies mit seiner gewaltigen Faust zum Festland hinüber.
Horatio bemerkte, wie sich Mauss' Augen verdunkelten, als er in die Ferne blickte. Warum ist China so faszinierend? fragte er sich.
Mißmutig schweiften seine Blicke über den Strand. Er wußte, daß es darauf keine Antwort gab. Wäre ich nur reich. Nicht so reich wie der Tai-Pan oder Brock. Aber so reich, daß ich mir ein schönes Haus bauen, alle Händler bei mir zu Besuch haben und mit Mary eine großartige Reise durch Europa machen könnte.
Es machte ihm Spaß, Dolmetscher und Privatsekretär Seiner Exzellenz zu sein, aber er brauchte mehr Geld. In dieser Welt muß man Geld haben. Mary müßte Ballkleider und Diamanten bekommen. Aber andererseits war er froh, daß er sich sein tägliches Brot nicht wie die Händler verdienen mußte. Die Händler mußten skrupellos sein, allzu skrupellos, und sie lebten gefährlich und in ständiger Unsicherheit. Es gab viele, die sich heute für reich hielten und in einem Monat ruiniert sein konnten. Ein Schiffsverlust, und man war möglicherweise erledigt. Sogar Noble House wurde von Zeit zu Zeit von einem Schlag getroffen. Die Scarlet Cloud beispielsweise war bereits seit einem Monat überfällig. Vielleicht hatte man sie, einen zusammengeschlagenen Schiffsrumpf, irgendwo auf einer Insel, die auf keiner Karte verzeichnet war, zwischen hier
Weitere Kostenlose Bücher