Tai-Pan
Guineen für die eleganteste Frau.«
»Guter Gott, Tai-Pan, man wird Ihnen noch die Augen auskratzen!«
»Aristoteles wird ja der Richter sein.«
»Trotzdem wird man Ihnen die Augen auskratzen.« Ihre Augen schienen die Farbe zu verändern. »Vergessen Sie nicht: Sie sind jetzt der begehrteste Mann in Asien.«
»Bitte?«
Ihr Lachen klang ein wenig spöttisch. »Am besten suchen Sie sich eine Frau aus, solange es noch Zeit ist. So manche Hure wird Sie noch mit ihrer Unterwäsche zu reizen versuchen und so manche Mutter ihre Tochter aufputzen und sie Ihnen ins Bett legen.«
»Reden Sie doch kein so gottloses Zeug daher!«
»Sagen Sie nur nicht, man hätte Sie nicht gewarnt, mein Freund. Tausend Guineen? Den Preis würde ich gern gewinnen.« Jäh schlug ihre Stimmung um. »Sie wissen ja, ich hätte das Geld, mir ein solches Kleid zu kaufen – aber wenn ich das täte, würde es den Eindruck zerstören, den die Leute von Mary Sinclair haben. Alle wissen, daß wir arm sind wie Kulis.«
»Aber niemand kann etwas dagegen haben, daß ich Ihnen ein Kleid schenke. Zumindest kann niemand etwas dagegen haben, daß ich Ihnen dieses Angebot durch Horatio mache. Oder?«
»Teufel noch mal, Tai-Pan, würden Sie das wirklich tun? Ich gebe Ihnen das Geld zurück.«
»Nur wenn Sie mit Ihrem verfluchten Gefluche aufhören. Aber Geschenk bleibt Geschenk.« Er betrachtete sie nachdenklich. »Haben Sie jemals an Ihre Großtante Wilhelmina gedacht?«
»An wen?«
»An die Kusine zweiten Grades Ihrer Mutter, die nach Holland gezogen ist.«
»Wer ist denn das?«
»Die Erbtante – die Ihnen eine Menge Geld hätte hinterlassen können.«
»Ich habe keine Verwandten in Holland.«
»Vielleicht hat Ihre Mutter vergessen, es Ihnen zu erzählen. Vielleicht könnte Ihnen ein Notar aus Amsterdam schreiben, daß dort eine Erbschaft auf Sie wartet.« Er zündete sich eine Zigarre an. »Als Erbin könnten Sie Ihr Geld ganz offen ausgeben. Wäre das nicht möglich?«
»Aber … aber …« Ihre Stimme wurde unsicher. »Was ist mit Horatio?«
»Tante Wilhelmina könnte ihm zweitausend Guineen hinterlassen haben. Den Hauptteil Ihnen. Sie hatte immer nur etwas für weibliche Verwandte übrig. Ihre Mutter war ihr besonderer Liebling – seltsam, daß niemand Ihnen oder Horatio von ihr erzählt hat. Arme Tante Wilhelmina. Sie ist gestern gestorben.«
Mary riß vor Aufregung die Augen weit auf. »Könnten Sie das tun, Tai-Pan? Würden Sie es tun?«
»Ein Brief nach London braucht drei Monate. Ein weiterer Monat ist notwendig, um die erforderlichen Schritte in Holland zu unternehmen. Drei Monate zurück. In sieben Monaten sind Sie eine Erbin. Aber bis dahin spielen Sie am besten noch immer die arme Kirchenmaus. Und dann müssen Sie sehr erstaunt sein, wenn es geschieht.«
»Ja. Entschuldigen Sie, ich bin … es überwältigt mich. Ach … Denken Sie sich nichts dabei, wenn ich jetzt etwas verrückt werde und in Tränen ausbreche oder schreie – ich vergöttere Sie, Tai-Pan.«
Sein Lächeln erstarb. »So etwas dürfen Sie nicht sagen!«
»Ich habe es niemals zuvor gesagt und werde es vielleicht niemals wieder sagen. Aber für mich sind Sie Gott.« Sie wandte sich um und ging allein landeinwärts zurück.
Struan sah ihr einen Augenblick nach und ging dann auf Gordon Tschen zu. Mit jedem Tag sieht er chinesischer aus, dachte Struan. Draußen auf See war das Langboot mit Orlow und Mauss an Bord noch immer ein gutes Stück von der China Cloud entfernt. Beeilt euch, bei Gott!
Skinner schnitt ihm geschäftig den Weg ab. »Guten Tag, Mr. Struan.«
»Ach, hallo, Mr. Skinner.«
»Ein großer Tag für uns in Asien, nicht wahr?«
»Bestimmt. Aber würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen, ich habe…«
»Es dauert nur einen Augenblick, Mr. Struan. Ich habe versucht, Sie gestern nacht noch zu sprechen.« Skinner senkte seine Stimme. Er schwitzte mehr als üblich und roch schlecht wie immer. »Die Wechsel von Noble House sind heute fällig, wenn ich mich recht entsinne.«
»Tatsächlich?«
»Werden sie eingelöst?«
»Haben Sie jemals daran gezweifelt, Mr. Skinner?«
»Es gehen Gerüchte um. Gerüchte um Barrensilber.«
»Ich habe davon gehört.«
»Ich hoffe, daß sie zutreffen. Ich würde es bedauern, wenn die Oriental Times den Eigentümer wechselte.«
»Ich auch. Heute abend werde ich Ihnen etwas Interessantes mitzuteilen haben. Aber würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen?«
Skinner beobachtete Struan, der auf Gordon Tschen zuging,
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