Tai-Pan
Tabletts mit Leckerbissen auf, die Struan für diesen besonderen Anlaß hatte zubereiten lassen.
Struan legte Jin-kwa und sich selber etwas dim sum auf.
»Essen außerordentlich sehr gut«, sagte Jin-kwa, der sehr steif auf seinem Stuhl saß.
»Essen sehr schlecht«, antwortete Struan, als wolle er sich entschuldigen, obwohl er wußte, daß in ganz Kanton kein besseres zu finden war. Ein Diener kam mit Holzkohle herein und schüttete sie auf das Feuer, wobei er ein paar Späne wohlriechenden Holzes dazulegte. Der köstliche Geruch des Holzes durchzog den kleinen Raum.
Jin-kwa aß sehr wählerisch vom dim sum und trank dazu in kleinen Schlucken den chinesischen Wein, der wie alle chinesischen Weine genau auf die richtige Temperatur erhitzt worden war. Der Wein wärmte ihn und tat ihm wohl, noch mehr jedoch das Bewußtsein, daß Struan, sein Schützling, ein tadelloses Benehmen an den Tag legte. Er benahm sich so, wie sich ein gewandter chinesischer Gegner benommen hätte: ließ ihm dim sum am Abend servieren, während es doch traditionsgemäß nur am frühen Nachmittag gegessen werden durfte, und deutete dadurch nicht nur sein Mißfallen an, sondern wollte ihn auch auf die Probe stellen, um zu erfahren, wieviel er von Struans Begegnung mit Wu Kwok wußte.
Und obwohl Jin-kwa entzückt davon war, daß seine Erziehung – oder richtiger die seiner Enkelin T'chung May-may – so köstliche Frucht trug, war er dennoch von dumpfer Unruhe und schlimmen Vorahnungen erfüllt. Das ist das grenzenlose Risiko, das man eingeht, sagte er zu sich selber, wenn man einem Barbaren zivilisierte Manieren beibringt. Der Schüler lernt vielleicht allzu gut, und ehe man sich's versieht, beherrscht er den Lehrer. Sei vorsichtig!
So tat Jin-kwa nicht das, was er zunächst beabsichtigt hatte: das kleinste der mit Krabbenfleisch gefüllten gedünsteten Gebäckstücke auszusuchen und es ihm zu reichen, womit er wiederholt hätte, was Struan auf dem Schiff Wu Kwok gegenüber getan hatte, denn dadurch hätte er mit einem Höchstmaß an Subtilität zu verstehen gegeben, genau über alles orientiert zu sein, was sich in Wu Kwoks Kajüte abgespielt hatte. Statt dessen spießte er eins der in schwimmendem Fett gebackenen Stücke auf, legte es sich auf den Teller und verzehrte es bedächtig. Er wußte, daß es vorläufig klüger war, dieses Wissen zu verbergen. Später konnte er dann immer noch dem Tai-Pan helfen, der Gefahr auszuweichen, in der dieser sich befand, und ihm zeigen, wie er sich aus seiner unheilvollen Lage befreien konnte.
Während er an dem dim sum kaute, dachte er über die maßlose Dummheit der Mandarine und der Mandschus nach. Narren! Nichtswürdige, im Kot wühlende, hergelaufene Narren! Mochten doch ihre Mannsglieder einschrumpfen und sich ihre Gedärme mit Würmern füllen!
Alles war mit solchem Scharfsinn durchdacht und ausgeführt worden, dachte er. Wir hatten die Barbaren zu einem Zeitpunkt und an einem Ort unserer eigenen Wahl in den Krieg hineinmanövriert, wodurch zwar ihre wirtschaftlichen Probleme gelöst wurden, aber nach der Niederlage haben wir ihnen nichts von Bedeutung zugestanden. Der Handel wurde wie bisher abgewickelt, nur über Kanton. Auf diese Weise wird das Reich der Mitte weiterhin vor den herandringenden Barbaren geschützt. Und wir haben nichts weiter hergegeben als eine stinkende, von Fliegendreck bedeckte Insel, die wir durch den ersten Kuli, der dort seinen Fuß an Land gesetzt hat, schon wieder begonnen haben, in Besitz zu nehmen.
Und Jin-kwa dachte über die Vollkommenheit dieses Planes nach, der erlaubte, die Habgier des Kaisers und seine Furcht, Ti-sen könne eine Bedrohung für den Thron darstellen, zu nutzen. Der Kaiser war gezwungen worden, seinen eigenen Verwandten zu vernichten. Ein göttlicher Spaß! Ti-sen war mit einer solchen Sicherheit in die Falle gegangen, die man ihm schon seit langem gestellt hatte. Er war das ideale Werkzeug gewesen, mit dem sich das Gesicht des Kaisers und Chinas wahren ließ. Aber nach Jahren des Planens und der Geduld und nach einem völligen Sieg über die Feinde des Reiches der Mitte hatte doch dieses von Habgier zerfressene, nach Hurerei stinkende Stück Hundefleisch – der Kaiser – die unvorstellbare Dummheit begangen, einen so hervorragenden Vertrag nicht anzuerkennen!
Nun waren die barbarischen Briten ganz zu Recht zornig. Sie hatten vor ihrer teuflischen Königin und deren törichten Vertrauten das Gesicht verloren. Und jetzt müssen wir alles
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