Tai-Pan
Schuhmachereien und Messerwerkstätten? Und besaß er nicht auch einen Anteil von fünfzig Prozent an der ersten Werkstatt, in der Schmuckstücke hergestellt wurden und in der ausgezeichnete Schnitzer und Steinschneider arbeiteten, die sich auf die Bearbeitung von Edelsteinen und Holz verstanden? Diese Leute stammten sämtlich aus der Provinz Kuangtung.
Das alles lief noch neben seinem eigentlichen Geldverleihgeschäft her. Ajiii jah, und was für ein Geldverleiher er war! Kaum zu glauben – aber er war wirklich so reich, daß er Geld um eineinhalb Prozent billiger auslieh als üblich und bald alle Verleihgeschäfte an sich riß. Man munkelte, daß er eine Partnerschaft mit dem Tai-Pan eingegangen sei und ihm nach dem Tod seines Barbaren-Onkels weitere Reichtümer zufallen würden.
Den Tongs gegenüber hatte es Gordon Tschen nicht nötig, seine Stellung zu verbessern. Sie wußten, wer er war, und gehorchten ihm ohne Widerrede. Trotzdem brauchten aber auch die Tongs im Bau- und Stauergewerbe, im Gewerbe der Straßenkehrer und der nächtlichen Exkrementensammler, die Fischer, Köche und Hausierer, die Wäscher, Dienstboten und Kulis Geld – auch sie mußten sich von Zeit zu Zeit Geld leihen, und sie brauchten Häuser zum Wohnen; es war daher nur natürlich, daß auch sie von großem Kummer über den Tod des Barbaren-Onkels ihres Führers erfüllt waren und nur allzu gern ein zusätzliches Schmiergeld für eine Woche entrichteten. Sie wußten, daß es klug war, auf der Seite des Tai-Pan von Tai Ping Schan zu stehen; sie sahen ein, daß ein Teil des Schmiergeldes für die Opfer an die Götter verwendet werden mußte – gebratene Spanferkel, Pasteten, gekochtes Fleisch aller Art und Süßigkeiten, Hummern, Garnelen, Fische und Krabben in ganzen Sampanladungen und dazu Brote und Berge von Reis. Sie wußten auch, daß diese Opfergaben verteilt wurden, sobald die Götter all diesen Überfluß mit gnädigen Augen betrachtet hatten. Sie selber würden sich dann an diesen Dingen gütlich tun, und auch der Hungrigste konnte satt werden.
So stöhnten all diese Menschen laut und vernehmlich gemeinsam mit den berufsmäßig Leidtragenden, genossen mit allen Sinnen dieses Drama des Todes und segneten ihren Joss, daß sie am Leben sein durften, um zu trauern, zu essen, zu lieben, Geld zu verdienen, vielleicht – mit Joss – ebenso reich zu werden und auf diese Weise bei ihrem Tode gegenüber allen Nachbarn so gewaltig an Gesicht zu gewinnen.
Gordon Tschen ging mit im Zug. Er war von feierlichem Ernst, zerriß seine Kleider – freilich mit großer Würde – und klagte laut zu den Göttern über den ungeheuren Verlust, den er erlitten hatte. Der König der Bettler folgte ihm, und so gewannen sie beide an Gesicht. Und die Götter lächelten.
Nachdem das Grab mit der trockenen, unfruchtbaren Erde aufgefüllt war, begleitete Struan Sarah zum Kutter.
»Ich komme heute abend an Bord«, sagte er.
Ohne ihm zu antworten, setzte sich Sarah in das Heck des Bootes und wandte der Insel den Rücken zu.
Kaum hatte sich der Kutter vom Land gelöst, als Struan den Weg zum Happy Valley einschlug.
Bettler und Sänftenkulis überschwemmten die Straße. Den Tai-Pan aber belästigten sie nicht; er hatte weiterhin dem König der Bettler das monatliche Schmiergeld gezahlt.
Struan sah Culum neben Tess inmitten der ganzen Brock-Sippe stehen.
Er näherte sich der Gruppe und zog höflich seinen Hut, um die Damen zu begrüßen. Dann sah er Culum an. »Würdest du mich bitte ein Stück begleiten, Culum?«
»Gewiß«, antwortete Culum. Seit ihrer Rückkehr hatte er noch nicht mit seinem Vater gesprochen – jedenfalls nicht über wichtige Dinge, zum Beispiel darüber, inwieweit Onkel Robbs Tod ihre Pläne beeinflussen würde. Oder wann die Verlobung öffentlich bekanntgegeben werden sollte. Es war kein Geheimnis, daß er nach dem Rückzug aus Kanton bei Brock in aller Form um Tess' Hand angehalten und dieser ihm eine mürrische Zusage gemacht hatte. Es war auch kein Geheimnis, daß man mit Rücksicht auf den plötzlichen Todesfall die öffentliche Bekanntgabe noch hinauszögerte. Struan grüßte wieder und ging mit Culum weiter.
Schweigend schritten sie die Straße entlang. Leute, die sie mit den Brocks zusammen gesehen hatten, schüttelten äußerst verwundert die Köpfe, weil Brock zu einer Eheschließung seine Zustimmung gegeben hatte, die doch ganz gewiß dem Kopf des Tai-Pan entsprungen war.
»Guten Morgen, Mary«, sagte Struan, als Mary
Weitere Kostenlose Bücher