Tai-Pan
ist, gebeten, diese Schriftstücke dem Tai-Pan von Noble House zu übergeben, der unseres Erachtens dafür sorgen wird, daß sie an die richtige Stelle gelangen, damit die entsprechenden Schritte eingeleitet werden können, bevor es zu spät ist. Um unsere Aufrichtigkeit zu beweisen, haben wir dieses Dokument mit unserem Namen unterzeichnet, in der Hoffnung, daß unsere Laufbahn dadurch nicht beeinträchtigt und auch möglicherweise unser Leben keiner Gefährdung ausgesetzt wird.«
Der Bericht war von zwei unbedeutenden Beamten des portugiesischen Außenministeriums unterzeichnet, die jedoch als Sachverständige auf diesem Gebiet gelten konnten. Struan kannte sie flüchtig.
Er warf den Stummel seiner Zigarre in den Garten hinaus und beobachtete, wie er langsam verglühte. Ja, sagte er zu sich, es ist unvermeidlich. Jedoch nicht, wenn wir Hongkong behalten. Hol der Teufel Lord Cunnington!
Wie sollte er sich dieser Information bedienen? Aber das war einfach. Sobald ich nach Hongkong zurückkehre, dachte er, werde ich Longstaff und Cooper eine Andeutung machen. Doch was wäre dadurch gewonnen? Warum fahre ich nicht selber nach England? Ein solches Wissen bekommt man nur einmal im Leben zugespielt. Und was ist mit Sergejew? Sollen wir jetzt sehr ›direkt‹ miteinander reden? Soll ich anfangen, mit ihm etwas auszuhandeln?
»Tai-Pan?«
»Ja, meine Kleine?«
»Würdest du bitte Garten-Fenster-Tür schließen? Es wird sehr schlimm kühl.«
Dabei war es eine warme Nacht.
37
Frost ließ May-may erschauern. Feuer verzehrte sie. Im Fieberwahn spürte May-may, wie ihr Leib zerriß. Sie schrie auf. Das, was hatte Leben werden sollen, strömte weg und nahm alles mit sich, ihre Seele, ihre Lebenskraft, so daß nur noch ein schwacher Funke glomm. Dann wich das Fieber, und der Schweißausbruch erlöste sie von ihrem Alptraum. Vier Stunden lang lag sie zwischen Tod und Leben. Aber ihr Joss hatte bestimmt, daß sie zurückkehren solle.
»Hallo, Tai-Pan.«
Sie fühlte das unaufhörliche Verrinnen des Lebens aus ihrem Leib. »Schlimmer Joss, Baby zu verlieren«, flüsterte sie.
»Quäl dich nicht damit. Sieh nur zu, daß du wieder gesund wirst. Die Cinchonarinde kann jederzeit eintreffen. Ich weiß es bestimmt.«
May-may nahm ihre ganze Kraft zusammen und zuckte mit einem Anflug ihrer alten Überlegenheit die Achseln. »Teufel die Langröcke holen! Wie weit kann Mann in Rock denn schnell laufen, heja?«
Aber die Anstrengung war bereits über ihre Kräfte gegangen, wieder wurde sie bewußtlos. Zwei Tage später schien sie viel kräftiger.
»Guten Morgen, meine Kleine. Wie fühlst du dich heute?«
»Phantastisch gut«, antwortete May-may. »Es ist ein schöner Tag, heja? Hast du Mary gesehen?«
»Ja. Sie sieht viel besser aus. Eine gewaltige Veränderung. Fast wie ein Wunder!«
»Für was so gute Änderung, heja?« fragte sie mit harmlosem Gesicht, aber sie wußte sehr wohl, daß Ältere Schwester Mary am Vortag aufgesucht hatte. »Ich weiß es nicht«, erklärte er. »Gestern, bevor ich wegging, habe ich gerade noch Horatio gesehen. Er brachte ihr einige Blumen. Übrigens läßt sie dir vielmals für die Sachen danken, die du ihr geschickt hast. Was war es denn?«
»Mangofrüchte und ein Kräutertee, hat mein Arzt empfohlen. Ah Sam ist auch hingegangen, vor drei Tagen.« May-may hielt eine Weile inne. Sogar das Reden bedeutete für sie eine große Anstrengung. Heute muß ich sehr stark sein, befahl sie sich.
Heute ist viel zu tun, und morgen kommt das Fieber zurück. Ach ja, zumindest ist jetzt mit Mary alles in Ordnung, sie ist gerettet. Nun war alles so einfach, nachdem Ältere Schwester ihr erklärt hatte, was allen jungen Mädchen in den Freudenhäusern beigebracht wurde – daß nämlich ein Mädchen bei entsprechender Sorgfalt, mit ein wenig Schauspielerei, mit Tränen, die Schmerz und Furcht vorspiegelten, und schließlich ein paar verräterischen Flecken, falls notwendig, für zehn verschiedene Männer zehnmal Jungfrau sein konnte.
Ah Sam trat ein, verneigte sich tief und flüsterte ihr etwas zu. May-mays Gesicht hellte sich auf. »Oh, wie gut, Ah Sam! Du darfst gehen.« Dann zu Struan gewandt: »Tai-Pan, ich bitte einige Silbertaels brauchen.«
»Wie viele?«
»Menge. Bin verarmt. Deine alte Mutter dich sehr lieben. Für was du solche Sachen fragen?«
»Wenn du dich damit beeilst, gesund zu werden, gebe ich dir soviel Taels, wie du willst.«
»Du mir großes Gesicht geben, Tai-Pan. Riesigstes Gesicht.
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