Tai-Pan
der siebte Tag, mein Junge, der letzte, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Culum. Mein Gott, dachte er, bewahre mich vor noch einer solchen Woche. Zweimal hatte ihn Todesangst überfallen. Einmal hatte er beim Wasserlassen Schmerzen verspürt, und einmal hatte er geglaubt, eine Schwellung und einen Ausschlag zu entdecken. Aber sein Vater hatte ihm Mut zugesprochen. Beide waren einander dadurch nähergekommen. Struan hatte ihm von May-may erzählt.
Während der langen Nachtwachen hatte Struan mit seinem Sohn geredet, wie es zuweilen ein Vater vermag, wenn Kummer – manchmal auch ein Gefühl tiefer Beglückung – die Pforten geöffnet hat. Pläne für die Zukunft, Probleme der Vergangenheit. Wie schwierig es war, mit einem Menschen, den man liebte, Jahre hindurch zusammen zu leben.
Struan erhob sich. »Ich möchte, daß du sofort nach Hongkong reist«, sagte er zu Culum. »Du läufst mit dem Ebbstrom an Bord der China Cloud aus. Ich werde Kapitän Orlow offiziell deinem Befehl unterstellen. Auf dieser Reise bist du Herr der China Cloud.«
Culum gefiel die Vorstellung, wirklich Herr eines Klippers zu sein.
»Sobald du nach Hongkong kommst, veranlasse, daß Kapitän Orlow Skinner an Bord holt. Überreich ihm persönlich einen Brief, den ich dir gebe. Dann tust du das gleiche mit dem Brief für Gordon. Geh unter gar keinen Umständen an Land und laß auch niemand sonst an Bord. Sobald du von Skinner und Gordon Antwort hast, schick sie wieder an Land und kehr umgehend hierher zurück. Bis morgen abend kannst du wieder hier sein. Du mußt mit der Mittagsebbe auslaufen.«
»Gut. Und ich danke dir von Herzen für… für alles.«
»Wer weiß, mein Junge, vielleicht hättest du die Seuche auch ohne das nicht bekommen.«
»Möglich. Aber dennoch – vielen Dank.«
»In einer Stunde sehe ich dich in meinem Kontor.«
»Sehr schön. Dann kann ich mich noch von Tess verabschieden.«
»Hast du eigentlich jemals daran gedacht, dein Leben selbst in die Hand zu nehmen? Und keine drei Monate mehr zu warten?«
»Denkst du an Entführung?«
»Ich habe dich nur gefragt, ob du daran gedacht hast, sonst nichts.«
»Ich wollte, ich brächte es fertig – wir brächten es fertig. Damit wäre so manches Problem gelöst … aber es geht einfach nicht. Wer sollte uns denn auch trauen?«
»Brock wäre bestimmt wütend. Und Gorth. Ich würde dir ja auch nicht dazu raten. Ist eigentlich Gorth wieder zurück?« fragte er, obgleich er sehr wohl wußte, daß er nicht da war.
»Nein. Er wird heute abend erwartet.«
»Benachrichtige Käpt'n Orlow, er soll sich in einer Stunde mit uns in meinem Kontor treffen.«
»Du wirst ihn meinem Kommando voll und ganz unterstellen?« fragte Culum.
»Nicht, was das Seemännische betrifft. Aber in allen anderen Dingen, ja. Warum?«
»Nichts weiter, Tai-Pan«, antwortete Culum. »Also in einer Stunde.«
»Guten Abend, Dirk«, sagte Liza, als sie das Eßzimmer im Kontorhaus betrat. »Tut mir leid, daß ich Sie beim Abendessen störe.«
»Das macht nichts, Liza«, erwiderte Struan und erhob sich. »Nehmen Sie doch bitte Platz. Wollen Sie mir beim Essen Gesellschaft leisten?«
»Nein, danke. Sind die jungen Leute hier?«
»Weshalb sollten sie hier sein?«
»Ich warte nun schon seit mehr als einer Stunde mit dem Abendessen«, antwortete Liza gereizt. »Hab' schon geglaubt, daß sie wieder rumbummeln.« Sie wandte sich der Tür zu. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie gestört habe.«
»Ich verstehe nicht ganz: Culum ist doch mit der Mittagsebbe auf der China Cloud ausgelaufen. Wie haben Sie ihn da zum Abendessen erwarten können?«
»Was sagen Sie da?«
»Er ist mit der Mittagsebbe aus Macao ausgelaufen«, wiederholte Struan geduldig.
»Aber Tess – ich hab' geglaubt, sie wär' hier mit ihm zusammen. Beim Kricketspiel am Nachmittag.«
»Ich habe ihn ganz plötzlich wegschicken müssen. Heute vormittag. Ich weiß nur, daß er sich von Tess noch verabschieden wollte. Es muß kurz vor Mittag gewesen sein.«
»Kein Wort haben sie mir davon gesagt, daß er heute abreist. Nur, daß sie später noch kommen wollten. Ja, stimmt, es war noch vor Mittag! Wo ist dann Tess? Is' den ganzen Tag nich' mehr nach Hause gekommen.«
»Das ist doch kein Anlaß zur Sorge. Wahrscheinlich ist sie mit ihren Freundinnen zusammen – Sie wissen doch, junge Menschen bemerken gar nicht, wie die Zeit vergeht.«
Liza biß sich besorgt auf die Lippe. »Sie ist noch niemals bisher zu spät gekommen. Nich' so spät. Sie is'
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