Tai-Pan
als was das Leben des Hoppo wert is'. Is' es denn so wichtig, noch 'ne Nacht zu bleiben? Die meisten von uns wollten heute ohnehin aufbrechen wegen des Landverkaufs.«
Du lieber Gott! dachte Struan, denn er wußte, daß Brock recht hatte. Wie kann ich nur auf das Silber warten?
»Na?« rief Brock fragend.
»Kein besonderer Grund.«
»Wird schon 'n Grund sein«, entgegnete Brock und betrat die Faktorei.
Pünktlich zur Stunde der Schlange erschien das ganze Aufgebot der Co-hong-Kaufleute auf dem Platz, von Bannermännern mit dröhnenden Gongs und Trommeln begleitet. Die Wachmannschaften der Bannermänner ließen sie durch und schlossen dann wieder ihre Reihen. Auch diesmal war Jin-kwa nicht mit dabei, dafür aber Hau-kwa, sein Sohn, der tonangebende Co-hong-Kaufmann. Hau-kwa war ein rundlicher Mann mittleren Alters, der ständig lächelte. An diesem Tag aber blickte er finster und schwitzte vor Erregung; er hatte solche Angst, daß er das ordentlich zusammengerollte und mit einem zinnoberroten Band umwickelte kaiserliche Edikt beinahe fallen gelassen hätte. Die anderen Kaufleute waren ebenso verängstigt wie er.
Struan und Brock in ihren besten Gehröcken, mit weißen Kragen und Zylindern, warteten unten im Garten auf ihn, um ihn zu empfangen. Struan war frisch rasiert, und Brock hatte sich seinen Bart gekämmt. Beide hatten sich ostentativ Blumen ins Knopfloch gesteckt. Sie wußten, daß sie durch ein Zeremoniell viel an Gesicht gewinnen konnten, während der Hoppo dadurch an Gesicht verlieren mußte.
»Ganz richtig«, hatte Brock mit rauhem Lachen erklärt, »Struan und ich werden das gottverdammte Edikt entgegennehmen, und wenn wir nicht ganz genau nach ihrer Pfeife tanzen, werd'n sie uns vielleicht wie Ratten in 'ner Falle verbrennen und nich' mal die Zeit abwarten, die sie uns gegeben haben. Jetzt machen wir erst mal genau, was Struan sagt.«
Die Gruppe blieb am Tor stehen. Mauss öffnete es, und Struan und Brock traten auf die Schwelle. Die Bannermänner sahen sie finster an. Struan und Brock waren sich in diesem Augenblick sehr genau bewußt, daß auf ihre Köpfe Belohnungen ausgesetzt waren. Aber sie zeigten keinerlei Furcht, denn sie fühlten sich von den unsichtbaren Gewehren in den Fenstern hinter ihnen und von der Kanone auf Brocks Lorcha, die mitten im Fluß ankerte, gedeckt.
Der Anführer der Bannermänner sprach erregt ein paar Worte und fuchtelte mit seiner Peitsche herum.
»Er sagt, Sie sollen sich das Edikt holen«, dolmetschte Mauss.
Struan hob lediglich den Hut an, streckte eine Hand aus und blieb breitbeinig stehen. »Der Hoppo hat erklärt, das Edikt sollte überreicht werden. Also soll er es überreichen.« Noch immer hielt er die Hand ausgestreckt. Mauss übersetzte, was er gesagt hatte. Nach einem Augenblick nervösen Zögerns beschimpfte der Bannermann Hau-kwa, und Hau-kwa trat eilig vor und übergab Struan das zusammengerollte Papier.
Struan, Brock und Mauss setzten sogleich ihre Zylinder ab und schrien aus vollem Hals: »Gott schütze die Königin!« Auf dieses Zeichen hin hielt Gorth eine Kerze an die Feuerwerkskörper und warf diese in den Garten hinaus. Die Co-hong-Kaufleute sprangen zurück, die Bannermänner griffen zu Bogen und Säbel. Struan und Brock aber blieben mit feierlichen Gesichtern stehen und hielten ihre Hüte hoch.
Die explodierenden Feuerwerkskörper füllten den Garten mit Rauch. Als das Krachen aufhörte, schrien Mauss, Struan und Brock zum Entsetzen der Co-hongs: »Gott verderbe alle Mandschus!«, während aus dem Innern der Faktorei drei schallende Hochrufe aufstiegen.
Die drei Bannermänner traten streitlustig vor und richteten hitzig ein paar Worte an Mauss.
»Er fragt, was das alles zu bedeuten hat, Tai-Pan.«
»Antworten Sie ihm so, wie wir es schon besprochen haben.« Struan gelang es, Hau-kwas Blick auf sich zu lenken, und er blinzelte ihm verstohlen zu, denn er wußte, wie sehr dieser die Mandschus haßte.
Mauss sagte laut, klar und im reinsten Mandarin-Chinesisch: »Das ist bei uns anläßlich sehr bedeutsamer Ereignisse so üblich. Nicht jeden Tag ist es uns vergönnt, ein so wertvolles Dokument entgegennehmen zu dürfen.«
Die Bannermänner bedachten ihn eine kurze Weile mit Beschimpfungen, befahlen dann aber den Co-hongs, sich zu entfernen. Die Co-hongs gingen, aber jetzt hatten sie ein wenig Mut gefaßt.
Brock brach in Lachen aus. Das Gelächter pflanzte sich durch die ganze Faktorei fort und fand am anderen Ende des Platzes, wo die
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