Taken
bist du dir selbst treu.«
»Schon gut, Emma, du brauchst nicht zu versuchen, mich als einen besseren Menschen hinzustellen, als ich es bin. Du brauchst nicht zu rechtfertigen, warum es in Ordnung ist, dich mit mir zu treffen.«
»Nein, ich …«, sagt sie mit frustrierter Miene. »Verdammt, Gray, ich versuche zu sagen, dass ich dich für das, was du über die Zuweisungen gesagt hast, bewundere, dass ich deiner Meinung bin, dass es nicht verrückt ist, wie die Vögel sein zu wollen. Aber vor allem versuche ich mich dafür zu entschuldigen, wie falsch ich dich all diese Jahre beurteilt habe. Du bist anders als Blaine, aber nicht schlechter. Vielleicht bist du sogar auf eine sehr gute Art verschieden, und ich erkenne das jetzt zum ersten Mal.«
Mit ihren dunklen Augen, die so groß wie Walnüsse sind, sieht sie direkt in mich hinein. Etwas in meiner Brust tut einen Satz. Plötzlich ist mir sehr warm.
»Möchtest du schwimmen gehen?«, frage ich und springe von dem Stein. Sosehr ich in ihrer Nähe sein möchte, brauche ich doch Distanz. Es sind diese Worte. Was bedeuten sie? Heute noch hat sie gesagt, dass sie mich verabscheut und findet, dass ich gemein bin, weil ich Chalice geschlagen habe, und jetzt bewundert sie mich auf einmal? Nur weil ich den Gefühlen in meiner Brust folge?
»Schwimmen?«, fragt sie. »Jetzt gleich? Es ist doch nicht einmal besonders heiß.«
»Mach, was du willst«, gebe ich zurück, laufe los und renne den mit Blumen übersäten Hang hinunter. Als ich das Seeufer erreiche, drehe ich mich um und sehe, dass Emma verblüfft zu mir heruntersieht. Wahrscheinlich überlegt sie immer noch, warum ihre freundlichen Worte mich in die Flucht geschlagen haben.
»Kommst du?«, schreie ich den Hügel hinauf. Sie zuckt mit den Achseln und springt dann von dem Felsbrocken.
Ich streife die Stiefel ab, ziehe mich bis auf die Unterhosen aus und bin im Wasser, bevor Emma auch nur den halben Weg zum See zurückgelegt hat. Die Kälte trifft mich wie ein Schlag und brennt in meinen Lungen. Aber sie wirkt erfrischend, und ich habe das Gefühl, wieder atmen zu können. Emmas Worte verblassen, während ich ins offene Wasser hinausschwimme. Ich lasse mich auf dem Rücken treiben und betrachte die beeindruckenden Wolkenberge, die sich am Himmel bilden, als ich neben mir etwas spritzen höre. Ich drehe mich um und sehe Emma, die Kiesel in meine Richtung wirft, am Ufer stehen. Sie ist bis an die Waden hineingewatet und hat den Saum ihres weißen Kleids über die Arme geworfen.
»Kommst du, oder nicht?«
Sie schüttelt den Kopf. »Es ist zu kalt.«
»Feigling.«
»Also, bitte.«
»Stimmt doch.« Ich schwimme so weit ans Ufer heran, dass ich sie mit einem gut gezielten Tritt nass spritzen kann. Wasser klatscht gegen die Vorderseite ihres Kleids, und ihr Gesicht wird blass vor Schreck. Wahrscheinlich fühlt es sich für sie eiskalt an.
»Das kriegst du zurück«, schreit sie.
»Wie denn? Ich bin doch schon nass.« Ich schwimme wieder auf die Mitte des Sees zu.
Emma kocht vor Wut. Sie zieht sich das Kleid über die Schultern und wirft es beiseite. Dann rennt sie los und springt kopfüber ins Wasser. Sie schwimmt besser als ich und erreicht mich rasch. Mit einem kräftigen Schwimmzug legt sie die Hände auf meine Schultern und drückt mich unter die Oberfläche. Ich bin viel zu beschäftigt mit dem Anblick ihres Unterhemds, das an ihrem Körper klebt, um mich auf das Untertauchen vorzubereiten. Spuckend und hustend komme ich hoch.
»Wer ist jetzt der Feigling?«, verlangt sie zu wissen. Ihr nasses Haar hängt in Strähnen herunter und klebt teilweise an ihrem Hals. Im Wasser sieht es dunkel aus, fast so schwarz wie meins. Ich mache einen Satz auf sie zu, aber sie ist zu schnell. Sie schießt davon, taucht unter und kommt hinter mir wieder hoch, von wo aus sie mich zu meiner Verlegenheit erneut unter Wasser drückt. Eine Weile geht das so. Ich versuche sie zu fangen, und sie entwischt meinen Angriffen mit Leichtigkeit. Als ich schließlich aufgebe, hat sie mich viermal untergetaucht und ist mir siebenmal entkommen.
»Schön, du hast gewonnen«, gestehe ich, während wir aus dem See steigen. »Aber beim Bogenschießen würde ich dich haushoch schlagen.« Ich ziehe meine Hosen an und trockne mir die Haare mit dem Hemd ab.
»Du gehst auch täglich auf die Jagd, Gray. Das ist ziemlich unfair.« Sie hat sich von mir abgewandt und zieht ihr Kleid wieder an. Dann schüttelt sie ihr nasses Haar aus und flicht es
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