Takeover
fühlte, und er berichtete Judith kurz die Geschehnisse der letzten zwei Tage. Judith hörte aufmerksam und ohne zu unterbrechen zu.
»Ja, aber Leo meinte, dass wir das Problem nicht gleich von der technischen Seite angehen können, sondern erst mal versuchen sollten, herauszubekommen, wer dahinter stecken könnte. Darum hat er mich wohl auch gebeten, Sie zu unterstützen .«
Wenn sie Leos Namen aussprach, klang Vertrautheit mit und Ferry fragte sich, ob Leo und sie wohl etwas miteinander hatten.
»Wollen wir uns nicht beim Vornamen nennen? Ich heiße Ferry .«
»Gerne, ich bin Judith.
Ich weiß nicht, was dir Leo über mich erzählt hat. Ich habe Publizistik und Netzwerktechnik studiert, zurzeit schreibe ich meine Doktorarbeit über die Szene der Computerhacker, deren Motivation, Kommunikationsstrukturen und die Entwicklungen der letzten Jahre. Die Hacker-Szene ist eine ziemlich überschaubare Gruppe, obwohl sie nur locker organisiert ist. Die meisten, die sich auf diesem Gebiet tummeln, sind in die Technik verliebt. Sie hacken einfach, weil es sie reizt, die Technik zu überlisten, die andere entwickelt haben. Sozusagen ein Kräftemessen, Spiele von kleinen Jungs. Kein Wunder also, dass fast alle Hacker Männer sind.«
Dabei sah sie ihn belustigt an und ihm fiel wieder die peinliche Situation am Flughafen ein, die er am liebsten vergessen hätte.
»Und natürlich will man dann irgendwann auch mal bekannt geben, dass man jemanden überlistet hat. Ein Triumph schmeckt nicht so richtig, wenn man ihn alleine genießen muss. Daher ist im Großen und Ganzen kein Geheimnis, was sich so bei den Hackern tut. Wenn man die Usergroups , Foren und die einschlägigen Publikationen verfolgt, erhält man schnell einen Überblick darüber, wer was macht. Dazu muss man natürlich in die Szene integriert sein. Oft werden Gesetze übertreten oder Unternehmen geschadet, das teilt man einem Außenstehenden nicht so ohne weiteres mit .«
»Und du bist gut in die Szene integriert ?«
»Am Anfang ist es mir nicht geglückt. Bis ich gelernt habe, dass es sehr ungeschickt war, mit einem Frauennamen Kontakt aufzunehmen. Als Frau wurde ich entweder nicht ernst genommen oder bekam Mails mit eindeutigem Inhalt, pornographischen Bildern und so’n Zeug. Eben kleine, pubertäre Jungs. Schließlich habe ich mir eine zweite Identität zugelegt. Eine männliche, und damit klappt es hervorragend .«
» GermanNet ist natürlich öfters mit Hackern konfrontiert. Es gibt Tage, da registrieren wir mehr als 1.000 unberechtigte Versuche, in unser Netz einzudringen, aber bisher blieben diese Versuche immer erfolglos und wir hatten die Oberhand. Solange die Versuche scheiterten, haben wir uns damit abgefunden. Als einer der größten Netzbetreiber ist man eben auch eine der beliebtesten Zielscheiben .«
»Tja, so ist es, wenn man den Größten hat«, kommentierte Judith.
Ferry begriff, dass es ein schweres Wochenende werden würde, aber er mochte Judith und fühlte sich neben ihr im Auto sauwohl. Sollte sie ihn also ruhig ein wenig auf die Schippe nehmen.
»Aber die Hackerversuche der letzten Tage waren anders, als alles, was wir bisher erlebt haben. Ich habe schlicht und einfach keine Ahnung, wie er oder sie das überhaupt anstellt, und wir wissen auch nicht, wie wir uns davor schützen können. Darum bin ich hergekommen .«
»Aus dem, was du mir erzählt hast, ergeben sich durchaus einige Anhaltspunkte. Wir sind gleich im Institut, da habe ich meine Unterlagen .«
Das Institut lag im alten Stadtkern von Cambridge, in einem ehrwürdigen Gebäude mit Blick auf die Cam . Gleich bei seinem ersten Besuch hatte Ferry Leo um das Büro in diesem Gebäude beneidet. Cambridge war einer der besten Plätze um an einer Uni zu arbeiten. Wenn man den Altstadtkern von Cambridge betrat, sah und fühlte man sofort die lange Tradition der Universitätsstadt. Und mittendrin lag Leos Institut. Das Herzstück des alten Gebäudes war die Bibliothek mit mehreren tausend Büchern aller möglichen Fachrichtungen. Während in den anderen Räumen modernste Rechnertechnik herumstand, fand sich in der Bibliothek kein Hinweis auf die Funktion des Gebäudes.
Sie hatten sich in die Bibliothek zurückgezogen. Draußen war es bereits dunkel, und es hatte begonnen zu regnen. Ferry stand gedankenverloren am Fenster, als Judith mit einem Aktenordner und ihrem Notebook bepackt in die Bibliothek kam. Sie sah wundervoll aus und Ferry beneidete Leo jetzt nicht nur um
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