Takeover
Newcomer hatten sich ebenfalls kurzfristig Gelder an den Börsen verschafft, hatten dann in atemberaubender Geschwindigkeit Leitungen verbuddelt und die notwendige Netzinfrastruktur aufgebaut. Milliarden waren so verbaut worden, der größte Teil davon auf Pump. Dann kam die Flaute auf dem Internetmarkt, die Umsätze blieben weit hinter den Erwartungen zurück, die Preise waren im Keller und viele der neuen Unternehmen waren nicht mal mehr in der Lage, die Zinsen zu bezahlen. Eine Pleite war der anderen gefolgt.
GermanNet hingegen war mit seinen fünf Jahren am Markt schon der Oldtimer der Netzbetreiber. Der Großteil des Netzes war während der letzten Jahre kontinuierlich aufgebaut worden und GermanNet war bei weitem nicht so verschuldet wie viele der Newcomer. Sie hatten die solide Basis genutzt, um in den zusammenbrechenden Märkten auf Einkaufstour zu gehen und billig Leitungen aus der Konkursmasse der Konkurrenten aufzukaufen. So hatte GermanNet in letzter Zeit eine ganze Reihe neuer, hochmoderner Leitungsstränge in Europa, sowie zwei Transatlantik-leitungen erworben, alles zu Preisen, die weit unter dem lagen, was man hätte ausgeben müssen, um diese selbst zu bauen.
Aber trotz aller Erfolge und umsichtiger Unternehmensführung, war die Branche kaputt, und die Nerven an den Börsen lagen blank. Morgen würde GermanNet seine Quartalszahlen vorlegen. Das Unternehmen war solide finanziert, machte Umsatz, hatte einen realistischen Businessplan, soweit die guten Nachrichten. Aber auch GermanNet konnte sich nicht vom Trend der Branche abkoppeln, der Gewinn des letzten Quartals war hinter den Erwartungen zurückgeblieben und für die Zukunft mussten die Gewinnerwartungen ebenfalls nach unten korrigiert werden.
Ferry und Rolf hatten am Freitagmorgen zusammen mit dem Aufsichtsrat von GermanNet die Quartalergebnisse auf der Aktionärsversammlung vorgestellt. Im Anschluss an ihre Vorträge hatten sie den Aktionären Rede und Antwort gestanden und anschließend mussten sie eine Menge Interviews geben. Wichtig waren vor allem die Gespräche mit Analysten und den Vertretern der verschiedenen Fond- und Venture-Capital-Gesellschaften , die den Großteil der Aktien von GermanNet hielten. Das mäßige Quartalsergebnis und die heruntergeschraubte Gewinnerwartung für das nächste Quartal hatten dazu geführt, dass gleich nach Bekanntgabe der Zahlen am Morgen die Aktien von GermanNet fast zehn Prozent an Wert verloren. Damit war man bei dem momentanen hysterischen Börsengeschehen noch gut weggekommen. Zum Ende des Tages hatte sich der Aktienkurs wieder stabilisiert, die meisten Analysten hatten sich positiv zur Zukunft von GermanNet geäußert und einige Handelshäuser sahen GermanNet als deutlich unterbewertet an und hatten mit › strong buy ‹ sogar Kaufempfehlungen abgegeben.
Ferrys Aktienpaket hatte im Laufe des Tages zwanzig Millionen Euro an Wert verloren und war ›nur noch‹ 180 Millionen Euro wert, aber das ganze Geld hatte für Ferry sowieso nur eine abstrakte Bedeutung. Er war einfach froh, dass der Freitag vorbei war. Sie hatten überlebt, die Aktionäre waren einigermaßen zufrieden gestellt, der Rest war Aufgabe von Rolf. Endlich konnte er sich wieder seinen eigenen Gedanken zuwenden. Nach der Aktionärskonferenz erschien ihm das Problem des Hackerangriffs fast als eine erfreuliche Freizeitbeschäftigung. Zumindest war er hier in seinem Metier.
Rolf sägte seit einiger Zeit an Ferrys Stuhl. Dabei ging er langsam und vorsichtig vor, denn er wusste, er brauchte Geduld, wenn er Erfolg haben wollte. Die Abwesenheit von Ferry nach der Aktionärskonferenz war eine willkommene Gelegenheit. Am Rande ergab sich die eine oder andere Möglichkeit mit den Vertretern der Venture-Capital- und Fond-Gesellschaften ein persönliches Wort zu wechseln. Rolf ließ anklingen, dass der Erfolg von GermanNet weniger der Verdienst von Ferry, sondern vielmehr sein eigener war. Man war freundlich zu ihm, es konnte sich einmal nützlich erweisen, einen wie ihn im Unternehmen zu haben. Auch wenn man Rolf und seine Illoyalität verachtete: Vielleicht konnte man ihn künftig noch brauchen.
Ferry traf am späten Freitagabend in London-Stansted ein. Er hatte mit der Assistentin seines Freundes Leo E-Mails ausgetauscht und verabredet, dass sie ihn am Ausgang zur Ankunftshalle abholte. Er hatte ein Erkennungszeichen vereinbaren wollen, aber Judith Knowles erklärte ihm, dass sie wisse, wie der CEO von GermanNet
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