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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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Kinder, da ist es kein Wunder, dass sie ihren Mann bei sich zu Hause haben will.«
    Elisa wusste, dass ihre Mutter ihr nicht die Wahrheit sagte. Sie wollte ihre Tochter nicht unnötig belasten, aber tatsächlich quälte Clementia eine ungute Vorahnung. Sie fürchtete, dass Elisa und sie bei Pauls Frau nicht willkommen sein würden. Pauls junge Frau hatte ganz einfach kein Interesse daran, ihre Hoheit über Haus und Plantage mit Elisas Mutter zu teilen. Aber mit diesen Gedanken sollte Elisa nicht beunruhigt werden, zumindest noch nicht. Deswegen sprach Clementia lieber über die Geburt, die angeblich dieser Tage die Plantage in Atem hielt. Deswegen, nur deswegen, war der Onkel nicht selber gekommen, um sie hier am Ende der Welt in Empfang zu nehmen.
    »Unser Schiff hätte bereits vor Tagen einlaufen sollen. Sicherlich muss Paul in dieser schweren Stunde seiner Frau beistehen. Das könnten wir Frauen doch sehr gut verstehen, nicht wahr? Dann wäre es keineswegs mangelndes Interesse an uns, oder gar mangelnde Achtung …«
    Die Stimme der Mutter wurde leise. Elisa hörte den furchtsamen Unterton. Das ganze Wesen ihrer Mutter strahlte seit Vaters Tod Furcht und Hoffnungslosigkeit aus. Ihr Körper schien in diesem Moment merkwürdig verloren in dem bodenlangen Unterrock. Clementia stand an der Waschschüssel. Mit einem feuchten Lappen reinigte sie mit mechanischen Bewegungen ihr Gesicht, so als würde sie einen Topf schrubben. Wortlos ging Elisa zu ihrer Mutter und vollendete das Waschen sanft und zärtlich. Dann trug sie Rosenwasser und zuletzt eine feine Salbe auf die durchscheinende Haut ihrer Mutter auf.
    Clementia Vogel war mit ihrem weißblonden Haar und den großen blauen Augen in Hamburg eine Schönheit gewesen. Ihre Verehrer hatten sich regelrecht darum geprügelt, wer seinen Namen in ihr Tanzkärtchen eintragen durfte. Aber diese Zeit der Unbeschwertheit war lange her. Mit Ende dreißig sah Clementia alt und verbraucht aus. Im letzten Jahr war Elisa ihr einziger Trost gewesen. Durch ihr Kind fühlte sie sich über den Tod hinaus täglich mit ihrem Mann verbunden, denn Elisa ähnelte ihrem Vater sehr.
    Kluge, lebhafte Augen dominierten das schmale Gesicht. Auch die gerade lange Nase hatte sie vom Vater. Gerhard Vogel war mit dem Aussehen eines Aristokraten gesegnet. Elisas Großmutter, eine geborene Gräfin von Dettenburg, hatte aus Liebe einen bürgerlichen Professor geheiratet, blieb aber in ihrem Inneren ihrem Stand treu. Adel verpflichtet, pflegte Elisas Großmutter zu mahnen, wenn sie dem kleinen Mädchen bei ihren Besuchen die wilde Mähne zähmte. Seit sie vor sechs Jahren gestorben war, achtete Clementia umso strenger auf Elisas Erziehung. Sie hoffte mit ganzem Herzen, dass ihre Tochter unter den Plantagenbesitzern der Südseeinseln eine bessere Partie machen würde als Johannes, den Sohn des Verwalters. Sie hatte große Pläne mit Elisa, denn aus ganz Deutschland strömten wegen des Zuckerrohrs die Söhne guter Handelsfamilien auf die Kolonien. Für standesgemäßen Nachwuchs und ein zivilisiertes Leben auf den Inseln brauchten sie eine deutsche Frau aus gutem Hause. Clementia seufzte. Spätestens mit Elisas Hochzeit würden ihre finanziellen Sorgen ein Ende haben, so hoffte sie, und nahm sich vor, in den kommenden Wochen besser auf die zarte Haut ihrer Tochter zu achten.
    Elisas Nase war durch die Sonne auf der Überfahrt mit Sommersprossen übersät. Ihre Unterarme waren golden getönt und die Wangen schimmerten rosig und gesund. All das ließ sie gewöhnlich wirken. Dabei wäre ihre Elisa eine Schönheit, wenn ihr Mund nicht zu groß und ihre Augenbrauen zu gerade geraten wären. Clementia seufzte. Sie würde auf Kauai anfangen, sich ernsthaft mit Elisas Aussehen zu beschäftigen. Aus ihrer eigenen Jugend kannte sie einige Tricks. Auch ein zu großes Mädchen, das zudem mit zu viel Intelligenz und einem zu forschen Mundwerk geschlagen war, ließ sich mit Raffinesse in Heiratsmaterial verwandeln, zumindest hier in der Südsee.
    In Hamburg hingegen hatte Elisa kaum eine Chance auf einen geeigneten Ehemann. Schon immer fehlte ihr der mädchenhafte Liebreiz der Zurückhaltung, auf den man in besseren Kreisen besonderen Wert legte. Aber ihre Elisa war nicht zurückhaltend, sondern neugierig und konnte ihre Zunge nur schwer im Zaum halten. Zudem war sie klüger als die meisten jungen Männer in ihrem Alter. Auch war das Leben in der Hansestadt viel zu teuer, wenn sie gesellschaftlich mithalten wollten.

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