Tal der Tausend Nebel
Doch alles andere blieb ein Rätsel.
Was wollte der Mann von Keanu? Warum folgte man ihr? Sie hatte kürzlich in der Zeitung über eine Entführung gelesen, die vor einigen Wochen die Côte d’Azur verunsichert hatte. Die sechzehnjährige Tochter eines Jachtbesitzers war am Hafen von Antibes verschwunden. Es gab eine hohe Lösegeldforderung, die schnell erfüllt werden musste, sonst würde das Mädchen getötet werden. Es hatte zum Glück keinen Armen getroffen, und in nur drei Tagen war der Fall vom Tisch. Eine Million konnte der Vater, ein Computerchip-König aus Belgien, leicht bezahlen. Für die Täter war das in der Tat schnelles Geld. Außerdem befürchtete die Polizei Nachahmer, denn die Täter konnten nicht gefasst werden.
»Komm her!«
Der Haifischmann hatte sein Gespräch beendet. Er steckte sein Handy weg und winkte sie zu sich. Maja dachte fieberhaft nach, was wohl jetzt das Beste wäre. Sollte sie Widerstand leisten? Sollte sie ihm einen Handel anbieten? Zwar würde ihr Vater nur schwer eine ganze Million aufbringen, aber vielleicht wäre es trotzdem klug zu verhandeln.
Vorsichtig näherte sie sich ihm, darauf bedacht, nicht unnötig erneut seinen Zorn zu wecken. Sobald sie nahe genug war, umfasste er ihren Unterarm hart. Mit einem Ruck zog er ihren Körper bis auf wenige Zentimeter zu sich heran. Er tat ihr weh. Sein Griff war eisern wie ein Schraubstock. Erneut musste Maja an Elisa denken, an ihre Not in der Grotte. Wie gerne hätte Maja jetzt eine Waffe gehabt. Ohne Zögern hätte sie ein Messer benützt. Zu ihrer Angst war eine maßlose Wut gekommen, die sie nur schwer kontrollieren konnte. Er musterte ihre Augen genau. Seine Stimme war schneidend.
»Ich verstehe, dass du mich hasst und vielleicht am liebsten töten würdest, aber es gibt einen Weg, der für uns beide angenehmer wäre. Wo ist er jetzt?«
»Wer?«
Er verstärkte seinen Griff an ihrem Unterarm. Majas Beine wurden schwach vor Schmerz.
»Bitte … ich weiß es nicht. Wir haben uns nur ein einziges Mal getroffen. Heute ist er … er ist nicht ans Meer gekommen. Ich weiß nicht, wo er ist.«
»Lüg mich nicht an! Dein Fick-Freund ist extra nach Nizza gekommen, um dich kennenzulernen. Und du hast heute am Strand wieder auf ihn gewartet.«
Bei dem Wort Fick-Freund war Maja trotz des Schmerzes in ihrem Unterarm innerlich zusammengezuckt. Es klang ordinär und hässlich. Und die Behauptung, Keanu hätte ihr Seminar besucht, um sie kennenzulernen, verwirrte sie. Ihr Vater hatte ihr dieses Seminar spendiert. Er war es gewesen, der sie vor Monaten darauf aufmerksam gemacht hatte. Sie erinnerte sich jetzt daran, wie ihr Vater sie explizit zu dem Seminar ermutigt hatte. Konnte es sein, dass ihr Vater etwas damit zu tun hatte, dass sie Keanu kennengelernt hatte? Aber warum? Vorsichtig begann sie, erneut zu reden, denn keinesfalls wollte sie zusätzliche Schmerzen.
»Hören Sie … Zunächst war ich davon überzeugt, dass es hier gar nicht wirklich um mich geht, sondern nur um Keanu. Aber jetzt bin ich mir auf einmal nicht mehr so sicher. Was genau wollen Sie?«
»Du weißt sicher, wo der Kanaka wohnt?«
Maja schüttelte langsam ihren Kopf.
»Nicht genau. In einem Hotel in der Altstadt vielleicht …«
Wieder schlug er ihr brutal ins Gesicht. Der Schlag war noch härter als zuvor. Maja flog von dem Aufprall fast einen Meter weit. Sie landete direkt vor den Füßen des blonden Sadisten. Doch als der Anstalten machte, sich nach ihr zu bücken, wies der Haifischmann ihn mit scharfen Worten zurecht. Er war noch nicht fertig mit ihr.
Durch Majas Hüfte zog sich ein stechender Schmerz. Von dem harten Aufprall auf dem Beton hatte sie sich sicherlich eine Verletzung zugezogen. Sie stöhnte. Dann versuchte sie, auf seinen Befehl hin aufzustehen, aber ihr rechtes Bein wollte ihr nicht gehorchen. Ihr wurde übel. Nur nicht ohnmächtig werden, dachte sie. Besser auf etwas konzentrieren, das neutral ist. Das half gegen die Angst. Sie hatte es in ihrem Selbstverteidigungskurs gelernt. Neben sich sah sie seine Schuhe. Der Haifischmann trug viel zu teure Schuhe für einen primitiven Kriminellen, stellte sie fest. Zudem waren sie frisch geputzt und das Leder sah edel aus. Bestimmt lebte dieser Mann nicht auf der Straße, sondern in einem der teuersten Hotels der Stadt.
»Steh auf!«
Er hielt ihr seine Hand hin. Aber Maja sah zu Boden und blieb einfach sitzen.
»Was ist? Kannst du nicht aufstehen?«
»Nein, verdammt! Mein Bein tut weh. Sie sind
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