Tal der Tausend Nebel
Feind, das ist es nicht. Auch ich arbeite nur für andere. Die Interessen derer, die ihr mit euren politischen Aktionen ständig verärgert, sind jetzt akut bedroht. Diese Interessen haben nichts mit euren gemein. Da geht es vor allem um Geld, viel Geld. Du solltest dich da raushalten, genau wie dein Vater. Ihr gehört nicht nach Kauai. Nicht wirklich.«
Maja verstand nicht, was er ihr sagen wollte, aber sie glaubte jetzt eine gewisse Anteilnahme in seinen Augen zu lesen. Der Mann wollte sie warnen.
»Bleib weg von Keanu. Es könnte dir sonst übel ergehen – und ich meine wirklich übel. Und dein Vater soll sich auch raushalten. So ein Erbschein ist nicht viel wert, wenn der Erbe noch nicht einmal die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Und meine Auftraggeber verstehen keinen Spaß. Keanu mag aussehen wie ein Engel, aber täusche dich nicht. Er wird dich am Ende zerstören. Sein Volk duldet keine Haole. Und auch wenn du Mandelaugen hast, so wirst du nie eine von ihnen sein. Die Kanaka benutzen dich nur für ihre ganz persönlichen Ziele. Es geht ihnen um Rache, um nichts als die Rache der Kanaka an den Haole.«
Da waren sie wieder, die Begriffe, die Maja so irritierten. War er einer von ihnen, einer der Haole, dessen Vorfahren einst nach Kauai ausgewandert waren? Majas Neugierde überwog.
»Woher sprechen Sie so gut Deutsch? Sie sind ein Hawaiianer, nicht wahr?«
Er nickte, berichtigte sie aber sofort.
»Ich bin gebürtiger Amerikaner, geboren auf Hawaii, mit deutschen Vorfahren. Kein einziger Tropfen Kanaka-Blut fließt in meinen Adern. Darauf lege ich Wert.«
Maja hütete sich nachzufragen. Sie ließ ihn weiterreden. Wie in einer Art Fieber beschrieb er ihr die Aussichtslosigkeit der Sache. Die Hawaiianer würden einen verzweifelten Kampf um ihr Land kämpfen, aber auf ihren Inseln letztendlich enden wie die Indianer auf dem Mainland der USA . Selbst die wohlhabenden Kanaka würden sich ihren eigenen Grund und Boden wegen steigender Steuern schon bald nicht mehr leisten können. Man würde die politisch unbequemen und chronisch faulen Ureinwohner Hawaiis in Zukunft in abgegrenzten Gebieten in einer Art von Reservaten halten. Niedrige Löhne, schlechte Schulbildung, miese Ernährung sowie das amerikanische Fernsehprogramm würden ihr Übriges tun. In ein paar Jahrzehnten wäre auch das letzte Zucken vorbei. Dann würden sie sich endlich damit abfinden, dass ihre Zeit vorüber ist. Natürlich dürften die Kanaka auch weiterhin zu Hungerlöhnen für Touristen ihre Hula - Tänze aufführen. Einmal im Jahr könnten sie unter Ihresgleichen große Reden schwingen, aber mehr sei in Zukunft nicht mehr drin. Gegen mächtige Konzerne mit wirtschaftlichen Zielen könnte auch Hawaiifreund Barack Obama auf Dauer nichts ausrichten.
»Keanus Leute führen seit Jahren einen Kampf gegen Windmühlen! Es ist Wahnsinn. Dein Mann lebt gefährlich, verstehst du … durch ihn lebst du gefährlich. Das merkst du bereits, nicht wahr?«
Der Klang seiner Stimme war erneut schneidend. Bis auf wenige Zentimeter hatte sein Gesicht sich Majas genähert. Sie roch an seinem Atem keine Spur von Alkohol, dafür aber die verkrampfte Säuerlichkeit eines fortgeschrittenen Magengeschwürs.
Ihr Verstand war jetzt wieder hellwach. Sie begriff, dass hier ein Irrtum vorliegen musste. Der Haifischmann hielt Maja und ihren Vater für Komplizen einer hawaiischen Untergrundbewegung, in der Keanu wohl eine große Rolle spielte. Gedanken von deutschen Terroristen schossen ihr durch den Kopf. Vor ihrem inneren Auge hatte sie eigenartige Bilder ihres Landes, in die sich aber immer auch wieder die aus Elisas erster Zeit auf Kauai mischten. Die Königstreuen. Die Steine-Esser. Keanu war anscheinend wirklich in etwas verwickelt, das gefährlich war. Trotz ihrer Angst war ihre Neugierde hellwach.
»Ihre Auftraggeber … was genau wollen die von uns? Wie können wir helfen? Weder mein Vater noch ich haben das kleinste bisschen Interesse daran, in politische Grabenkämpfe verwickelt zu werden. Wir sind Deutsche mit hawaiischen Wurzeln, die mehrere Generationen zurückliegen und für uns bisher nie Bedeutung hatten. Ich habe Keanu rein zufällig auf dem Seminar kennengelernt. Mein Vater hat keinerlei Verbindungen zu Verwandten in Hawaii. Er ist in Deutschland geboren. Sein Vater war lediglich ein amerikanischer Besatzungssoldat aus Kauai, der sich kurzzeitig verliebt hatte. Mein Vater kannte ihn nicht einmal. Wie also können wir Ihnen helfen, mein
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