Tal der Tausend Nebel
Aber ihre Bewegungen waren viel zu langsam. Die Messerspitze des Haifischmannes bohrte sich bereits schmerzhaft in ihren Rücken.
»Wenn du weiterleben willst, hörst du mir jetzt gut zu. Lass die Tür los und denk noch nicht einmal darüber nach, zu schreien oder um Hilfe zu rufen. Ich müsste dich sonst auf der Stelle töten.«
Sie gehorchte instinktiv. Die Tür fiel mit einem Knall zu. Ihre Schuhe fielen ihr aus der Hand auf den Betonboden. Sie konnte es nicht verhindern. Ihr Körper hatte begonnen zu zittern. Leise sprach der Mann auf sie ein, aber sie hatte Mühe, seinen Worten zu folgen. Er sprach deutsch mit starkem Akzent, vielleicht russisch, aber es konnte auch etwas anderes sein. Sie war sich nicht sicher. Aber mit einem Mal wusste sie, wo sie den Dicken gesehen hatte. Er war einer der beiden Angler, der auf der Mole gesessen hatte, als sie mit Keanu im Meer geschwommen war. Sie erinnerte sich genau. Die Männer hatten sie also schon länger beobachtet und warteten hier auf sie. Die Stimme des Haifischmanns wurde lauter und penetranter.
»Los, antworte! Wo ist dein Freund? Du weißt, von wem ich rede, oder?«
Fieberhaft dachte Maja nach. Die Männer waren vielleicht nicht ihr, sondern Keanu gefolgt.
»Los, rede! Wo ist er?«
Sie bekam von hinten einen Stoß. Fast fiel sie zu Boden. Der Haifischmann lachte, die anderen lachten mit. Inzwischen waren sie näher gekommen, so als wollten sie ihre Beute genauer unter die Lupe nehmen. Ihre Blicke waren unmissverständlich.
Die beiden begannen zu reden, in einem für Maja viel zu schnellen Südfranzösisch, das guttural und primitiv klang. Sie waren angetrunken. Der Haifischmann lachte gutmütig, als er antwortete, und seine Worte konnte sie zumindest halbwegs verstehen. Als der Blonde sich in den Schritt fasste und mit der Zunge schnalzte, überfiel sie Ekel. Jetzt ahnte sie, warum sie bei Elisa in der blaue Grotte gewesen war. Es war eine Warnung. Als sie vorhin in der Parkgarage Männerlachen hörte, hätte sie auf ihre innere Stimme hören sollen. Sie hätte auf der Stelle umkehren müssen. Aber dafür war es jetzt zu spät.
»Du wirst schon noch reden … glaub mir!«
Sein selbstsicheres Lächeln war das eines Sadisten, dachte sie noch, als sie die Hand des Haifischmannes auch schon wie einen Schraubstock an ihrem Oberarm spürte. Unsanft schubste er sie vorwärts.
Von der Tür aus hatte Maja nicht bis in die hintere Ecke der Garage sehen können. Dort lagen bei einem alten Kleinbus Schlafsäcke auf einigen Schlafmatten. Ein richtiges Lager. Barfuß stolperte sie vorwärts, während die Männer lachten. Der blonde Muskelprotz machte eine obszöne Geste mit seiner Zunge, bevor er erneut die Flasche ansetzte. Der Fette machte Anstalten, nach ihren Brüsten zu greifen. Maja wich entsetzt zurück. Ein Teil von ihr konnte das alles nicht fassen. Natürlich war ihr bewusst, was für einen verlockenden Anblick sie den Männern in ihrem knappen Kleidchen bieten musste, aber darum ging es nicht. Irgendwie ging es um Keanu. Man war ihr mit Absicht gefolgt. Der Haifischmann sprach deutsch und kannte ihren Namen, aber es ergab alles keinen Sinn. Maja machte einen verzweifelten Versuch.
»Wenn es Keanu ist, den ihr sucht … er ist nicht bei mir.«
Der Hai lächelte.
»Das sehe ich. Du kommst sehr spät heute, und du kommst allein. Er hat dich am Meer versetzt, aber warum? Wo ist er, Prinzessin? Oder willst du mir etwa weismachen, dass du dich nicht für ihn so hübsch gemacht hast? Der Ausschnitt steht dir wirklich gut. Habt ihr euch bei dir verabredet, oder bei ihm? Willst du ihm nicht sagen, dass du dich ein wenig verspätest? Immerhin hast du gerade eben drei nette Freunde getroffen. Die willst du sicher nicht enttäuschen, oder?«
Dann sprach er wieder mit den beiden anderen, und diesmal verstand sie. Es ging darum, wer sie als Erster haben durfte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was war hier los? Sie hatte nur einen einzigen Abend mit Keanu verbracht, aber dieser Mann hielt sie für seine Freundin. Warum? Und natürlich hatte er recht. Sie hatte sich für Keanu schön gemacht, weil sie ihn heute Abend das letzte Mal sehen würde. Tränen der Verzweiflung stiegen in ihr auf. Sie hatte sich Mühe gegeben. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten, der Saum endete auf halber Höhe ihrer Oberschenkel. Ihr BH war ein erregender Push-up, ihre Lippen hatte sie nach dem Essen extra für ihn nachgezogen, die Haare fielen ihr mädchenhaft über die Schultern. Sie
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