Tal der Tausend Nebel
Französisch gab der Haifischmann den Startschuss. Von ihm aus konnten die Männer ihren Spaß mit Maja haben. Er würde zusehen.
»Für meine Auftraggeber.«
Er zückte eine kleine Kamera.
»Für Keanu werde ich es ins Internet stellen.«
Die beiden Männer zogen sich auf sein Geheiß Masken an. Es waren bizarre Tiermasken aus Plastik, wie man sie an Karneval trägt. Ein Hund mit heraushängender Zunge und ein brüllender Löwe. Maja kämpfte mit Brechreiz. Panisch sah sie sich um. Gab es hier wirklich keine Überwachungskamera?
Der Blonde mit der heruntergelassenen Hose trug die Maske des brüllenden Löwen. Torkelnd kam er auf sie zu. Maja war inzwischen klar, dass sie nicht würde vermeiden können, was ihr bevorstand. Durch ihren Kopf schoss der Gedanke, dass sie lieber sterben würde. Sie war nicht so stark wie Elisa.
Der Schlangenkopf auf der Hand des blonden Löwen griff nach ihr. Seine Zunge zuckte durch den Spalt in der Maske. Durch die Gucklöcher sah sie seine irren Augen, high von Drogen und Alkohol. Als sie schrie, legte er seine Hand über ihren Mund. Dann war der Fette über ihr, ein geifernder Hund. Seine Hände grabschten nach ihren Oberarmen, um sie zu Boden zu drücken. Der Löwe hob ihre Beine. Er machte keinen Hehl daraus, dass ihm der Anblick des türkisen Höschens Freude bereitete. Der stechende Schmerz in ihrer Hüfte zwang Maja zu einem weiteren Schrei. Die Hand drückte fester. Sie bekam keine Luft mehr.
Während der Haifischmann filmte, schleppten die Männer sie auf ihr Lager wie ein Stück Beute, das es zu verzehren galt. Maja strampelte verzweifelt, als der Löwe den Anfang machte. Ein Ritsch und ihre türkise Unterhose flog zur Seite. Der fette Hund presste ihr seine fleischige Hand fester über Mund und Nase. Sie wollte auf der Stelle sterben, dachte sie noch, ihren Körper verlassen und zurück in den großen Ozean gehen. Der Mangel an Sauerstoff ließ ihre Gedanken langsamer werden. Sie hoffte, dass es schnell gehen würde. Der Tod war ihre beste Option.
Als Maja begann, das Bewusstsein zu verlieren, hörte sie einen Schuss. Dann Stimmen. Die fette Hand ließ von ihr ab. Luft strömte in ihre Lungen. Wie in Trance drehte sie ihren Kopf. Aus dem Augenwinkel sah sie ihn. Keanu stand in der geöffneten Stahltür. Seine Hand hielt eine Waffe.
Am Ende dieser Nacht, als es schon Morgen wurde, lag der Albtraum in der Garage bereits gefühlte tausend Lichtjahre zurück. Erste Sonnenstrahlen malten geheimnisvolle Muster an die Decke von Majas Schlafzimmer in der Villa in Antibes, und sie fühlte eine enorme Dankbarkeit. Nicht nur lebte sie und war nicht vergewaltigt worden, sondern sie war glücklich. Ihre Hüfte und ihr Bein schmerzten zwar noch, aber jetzt war es ein süßer Schmerz.
Sobald Keanu und sie in der Villa in Sicherheit waren, hatten sie miteinander geschlafen. Maja lächelte bei dem Gedanken daran, dass ihre Lust letztendlich stärker gewesen war als der Schock. Selbst der Schmerz in ihrer Hüfte konnte Maja nicht davon abhalten, ihr Verschmelzen mit Keanus männlichem Körper zu genießen. Vielleicht war ihrer beider Lust auch eine Reaktion auf das Unfassbare gewesen, das in der Tiefgarage geschehen war.
Als Maja an die kritischen Sekunden zurückdachte, als Keanu sie mit seiner Waffe aus den Händen der drei Männer befreit hatte, wurde ihr kurz übel. Es konnte gut sein, dass sie einen der drei getötet hatten. Sie wusste es nicht genau, aber allein der Gedanke daran ließ sie erneut erschauern. Nicht durch einen Schuss war der Fette mit der Hundemaske ums Leben gekommen, sondern durch Majas Auto. Er hatte sich ihnen in den Weg gestellt. Sollte er tot sein, so war sie mit Keanu daran schuld.
Sie hatten nach ihrer Flucht und der Ankunft in der Villa beraten, was sie am besten tun sollten. Beide waren sie erschrocken, aber Keanu wusste zumindest, was sie keinesfalls machen durften. Sie konnten niemandem an der Côte d’Azur wirklich vertrauen, nicht einmal Keanus Cousine, bei der er wohnte und die ihm die Waffe geliehen hatte. Sharkman hatte überall seine Beziehungen, wie Keanu ihr verriet, und er wollte keinen seiner Freunde in Gefahr bringen.
Maja sollte erst zu Hause mit ihrem Vater sprechen, wenn sie sicher sein konnte, wie viel sie ihm erzählen durfte. Aber auch das nur, wenn es unbedingt notwendig war.
Natürlich hatte sie Keanu viele Fragen gestellt. Wer genau waren diese skrupellosen Auftraggeber von Sharkman? Waren es Franzosen? Waren es Amerikaner?
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