Tal der Tausend Nebel
Warum waren sie hinter Keanu her?
Aber er wollte Maja zu ihrer eigenen Sicherheit so wenig wie möglich über seine geheime Mission erzählen. Sie sollte mit ihrem Vater sprechen, wenn die französische Polizei je nach ihrem Wagen fahnden sollte. Das riet er ihr. Nur wenige Details bekam Maja aus ihm heraus. Aber wie gut Keanu ihren Vater kannte, hatte sie erstaunt.
»Warum hast du es mir nicht von Anfang an erzählt?«
»Weil es um eine vertrauliche Angelegenheit zwischen ihm und mir ging.«
Keanu hatte sich wegen einer Rechtssache an Max Kemper gewandt, weil Majas Vater durch seinen hawaiischen Vater zu seinem Klan auf Kauai gehörte.
»Es geht um Land, sehr wertvolles Land – an der Küste von Kauai.«
Mehr verriet er ihr nicht. Aber Keanu hatte tatsächlich gewusst, dass die Tochter von Max Kemper an dem Seminar in Nizza teilnehmen würde. Zunächst hatte er sie auch ansprechen wollen, aber dann war etwas anderes geschehen. Er hatte sich in sie verliebt.
»Hast du nicht!«
»Ich will nicht mehr darüber reden!«
Mit traurigem Blick strich er über ihre Lippen, auf denen noch seine Küsse brannten. Der Zeitpunkt seines Abschieds war gekommen. Er flog in wenigen Stunden nach Kauai zurück.
In Maja krampfte sich bei dem Gedanken daran, ihn vielleicht nie wiederzusehen, alles zusammen. Er aber küsste ihr liebevoll die Sorgenfalten weg.
»Du musst mir Vertrauen schenken, okay? Alles wird gut. Ich sorge dafür … Du machst es einfach so, wie wir es abgesprochen haben.«
Maja nickte. Was konnte sie auch anderes tun? Er war der Mann, der sich bei Bedarf in Luft auflösen konnte. Mister Unsichtbar. Sie vermied seinen Blick. Er sollte die Tränen in ihren Augen nicht sehen.
Aber jetzt war seine vorhin noch gefasste Stimme rau vor Zärtlichkeit und Wehmut.
»Bis ganz bald, so sagt man doch bei euch. See you soon, and in my dreams. I will write you. Jeden Tag einen Brief, versprochen.«
Maja bemühte sich um Fassung.
»Ich mag Briefe, aber so wie jetzt bist du mir lieber. Und so bald werden wir uns sicher nicht wiedersehen. Aber ich finde dich vielleicht auch in meinen Träumen … oder in Elisas Träumen? Mehr als Träume dürfen wir gar nicht … Du willst heiraten und ich auch.«
Ihr Lächeln war zaghaft.
Beide hatten erkannt, dass ihre Liebesnacht in der Villa einmalig bleiben musste. Die Erkenntnis war grausam und schnitt bis in Majas tiefste Seele.
»It sucks! I hate it …«
Er hatte sich ebenso unsterblich verliebt, das wusste sie jetzt. Widerstand war zwecklos. Wie nie zuvor wäre Maja bereit gewesen, ihr Leben für diesen Mann umzukrempeln, wenn er es denn verlangt hätte. Das wusste sie nach dieser Nacht. Sie würde ihm folgen, notfalls bis nach Kauai, nur um mit ihm zusammen zu sein.
Aber er tat es nicht. Im Gegenteil. Als könnte er ihre Gedanken lesen, schüttelte er jetzt langsam seinen Kopf.
»I cannot change my life for you. Sorry …«
Keanu konnte sein Leben nicht für sie ändern. Es war unmöglich.
Maja begriff inzwischen, dass der Haifischmann in der Garage in einigen Punkten recht gehabt hatte. In Keanus Leben gab es eine klare Priorität. Wie sein Vater und seine Mutter vor ihm, so kämpfte auch er für das Weiterbestehen seines Volkes in Würde und Freiheit. Es war ein harter Kampf, denn es ging vor allem um Landbesitz. Ihren schwindenden Lebensraum mussten die Ureinwohner immer mehr gegen Gier und skrupellose Spekulation verteidigen. Daran hatte sich seit den ersten Plantagenbesitzern auf den Inseln nicht viel geändert. Nur waren die Spieler auf dem vergleichsweise kleinen Spielfeld der Inseln anonymer und internationaler geworden. Wenn jetzt die Bagger kamen, um wieder ein Stück unberührtes Land für einen neuen Golfplatz zu planieren, saß der neue Besitzer vielleicht in Mexiko, Schweden oder Südfrankreich. Ohne jegliches Unrechtsbewusstsein wurde das Land der Ureinwohner nun international an den Meistbietenden verschachert. Viele von ihnen lebten heute schon obdachlos an eingezäunten Stränden.
»If I had the choice …«
Traurig sah Keanu Maja an. Sie wusste, dass er bleiben würde, wenn er die Wahl hätte. Aber seine Organisation kämpfte seit über einem Jahrhundert für die Rechte der Hawaiianer. Man nannte sie die Steine-Esser. Er hatte ihr in der Nacht viel von seinem Kampf um die Anerkennung seines Volkes erzählt.
Maja war glasklar, warum seine ursprünglich harmlose Organisation sich inzwischen notfalls auch mit Waffen gegen mächtige Feinde wehren
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