Tal der Tausend Nebel
auch Amerikaner und Europäer. Honolulu war ein weltweit wichtiger Hafen für Sandelholz, wie Kelii ihr erklärte. Aber am allerwichtigsten, zumindest für die Hawaiianer, war der neue königliche Palast.
Sie feierten ihren ersten Abend auf Oahu auf ihre Weise. Kelii freute sich wie ein Kind, als er mit Elisa zusammen die Leis wand. Fünf waren es an der Zahl, einer für jedes Familienmitglied. Bei einem kleinen Feuer, das sie machten, um sich zu wärmen, erzählte er ihr, wie es in den nächsten Wochen auf Oahu weitergehen würde.
»Nach dem ausgiebigen Besuch bei Nalanis Familie werde ich dich zum verabredeten Zeitpunkt zu den heiligen Wasserfällen bringen. Hoku ist die mächtigste Kahuna der Inseln und das nun schon seit langer Zeit. Viele machen sich auf den Weg in ihre Einsiedelei, um Rat und Heilung zu erbitten. Aber bei uns ist es anders. Hoku hat nach dir geschickt. Sie ist in meine Träume gekommen und hat dich gerufen, wie du in ihren Träumen warst. Es ist eine große Ehre. Aber es ist wichtig, dass wir genau zu der Zeit kommen, in der sie uns erwartet. Sie hatte diesen Traum … der Traum sagt die Zeit. Hoku ist Haifischklan.«
Kelii machte eine bedeutsame Pause. Er kannte Hoku seit seiner Kindheit. Sie hatte ihn als Schüler in die Kunst der Heilung eingeführt, als er sechs Jahre alt war. In regelmäßigen Abständen verlangte sie ihn zu sehen und prüfte seine Fortschritte. Sie war dabei sehr streng. Kelii rollte mit den Augen.
»Zwar werde ich seit Jahren von den beiden Kahuna auf Kauai auch in den Heilkünsten unterwiesen, aber Hoku hat sozusagen die Oberaufsicht. Sie gibt den Segen, wenn ein Kahuna genug gelernt hat und selbst lehren darf.«
Kelii war bei der Alten gewesen, um Rat wegen seiner Schwester und Johannes zu erbitten, nachdem er von dem Baby erfahren hatte. Bei diesem Besuch hatte die Hellsichtige ihn scharf angesehen.
»Sie hat über dich gesprochen. Weißt du, was sie gesagt hat?«
Elisa schüttelte den Kopf. Nach kurzem Überlegen sprach er weiter.
»Ich bin mir nicht sicher, ob es für deine Ohren bestimmt war. Aber Hoku hat gesagt, du hättest zwar die Haut einer Haole, aber deine Seele sei eine von unseren Seelen. Du hättest eine gewaltige Macht, die in deinem Inneren tobt, aber du kannst sie nicht erkennen …«
Elisa hing wie gebannt an Keliis Lippen. Er hatte ihr nie von diesem Gespräch erzählt. Zögernd fuhr er fort.
»Hoku hat gesagt, ich müsste mich sehr in Acht nehmen, denn deine Seele sei um ein Vielfaches stärker als meine eigene. Großvater Hai hätte dich nicht zufällig für mich ausgesucht. Er hat dir eine Aufgabe gegeben, eine große Aufgabe, die unser ganzes Volk betrifft. Und ich müsste dir helfen und dich beschützen …«
Keliis Stimme war merklich leiser geworden.
»Seither habe ich über Hokus Worte nachgedacht. Ich war genauso blind wie du jetzt stumm bist. Ich hätte dich nie allein lassen dürfen …«
Elisa legte ihre Hand auf seine, um ihm zu zeigen, dass sie ihm keinerlei Schuld gab. Es war ihr Schicksal. Sie war darin allein gefangen. Kelii konnte auch nach Monaten nicht sehen, was genau sie zerstört hatte. Das Ausmaß von Jansons Hass und die Verachtung der Weißen gegenüber den Hawaiianern fraßen sie auf. Daran hatte er keine Schuld. Kelii war mit Johannes befreundet, aber auch ihn kannte er nicht, denn Weiße waren anders als Hawaiianer. Weiße waren in Elisas Augen feige, grausam und unehrlich in einem Ausmaß, das Kelii noch nicht einmal erahnen konnte. Das war ihre Meinung.
Eine Weile saßen sie schweigend an ihrem kleinen Feuer, das jetzt fast nur noch aus müder Glut bestand. Elisa war traurig zumute. Sie wollte gar nicht, dass Kelii die Weißen wirklich verstand, denn vielleicht würde er sich dann auch von ihr abwenden.
Sie lächelte Kelii hilflos an. Selbst wenn sie reden könnte, wusste sie nicht, wie sie es ihm erklären würde. Sie war froh, dass er wenig über die Abgründe ihrer Seele wusste. Sie hoffte, ihr Todeswunsch blieb ihm verborgen, aber sie ging durch ein dunkles Tal.
Elisa ertappte sich dabei, wie sie überlegte, ob es nicht besser für ihren Liebsten wäre, wenn es sie gar nicht mehr gäbe. Er war schön, klug und von reinem Herzen. Hatte er nicht eine bessere Frau verdient?
Als sie am nächsten Morgen mit den Blumenketten und ihren beiden Bündeln den Anstieg begannen, schob die aufgehende Sonne Elisas düstere Nachtgedanken fort. Die Morgenluft roch würzig und die Vögel in den immergrünen Büschen
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