Tal der Tausend Nebel
Auch die beiden Kahuna auf Kauai wandten diese Technik anfangs für ihre Diagnose an.
Elisa seufzte zufrieden, als Kelii ihr liebevoll über die Haare strich, bevor er zum Fischen aufbrach. Immer noch sah sie Sorge in seinen Augen. Die Angst um Elisa und der Unmut darüber, dass der Mann, der Elisa so Ungeheuerliches angetan hatte, wohl nie zur Rechenschaft gezogen würde, ließ seine sonst geraden Schultern mit dem wachsenden Gefühl der Niederlage nach vorne fallen. Er wirkte oft bedrückt, obwohl sich im letzten Monat viel verbessert hatte. Es nagte an ihm, dass seine Liebe Elisas Leid nicht schneller lindern konnte.
Elisa lächelte ihm zu. Sprechen konnte sie immer noch nicht, aber ihre Augen signalisierten, was sie kommunizieren wollte: Geh fischen. Mir geht es gut. Wirklich, es ist alles in Ordnung … oder besser gesagt, du kannst genauso gut fischen gehen, denn es ändert ohnehin nichts. Meine Stimme ist tot.
Kelii ging, nachdem er sanft ihre Stirn geküsst hatte. Das durfte er wieder. Einige Berührungen von ihm konnte sie ertragen, seit sie zusammen übers Meer nach Oahu gekommen waren. Aber beide wussten, dass sonst gar nichts in Ordnung war. Elisa war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Selbst ihr Körper, einst von ausgewogener Proportion und schlankem Wuchs, hatte sich verändert, da sie kaum essen wollte. Elisas Seele war schwer krank. Niemand hatte ihr in den letzten Monaten helfen können. Die beiden Kahuna auf Kauai verstanden nicht, warum es Elisa trotz der Behandlung nicht von Tag zu Tag besser ging, sondern sie immer mehr Kraft verlor. Am Schluss wollte sie kaum noch Nahrung zu sich nehmen und war ausgemergelt wie die halb verhungerten Mädchen im Roten Hafenhaus von Lihue.
Kelii spürte instinktiv, dass Elisa sterben wollte. Aber er sprach nie darüber. Er redete nur über ihre körperlichen Symptome mit den Kahuna, die er in den ersten Wochen nach ihrer Vergewaltigung regelmäßig mit ihr auf Kauai konsultiert hatte. Auch wenn sie mit den Besuchen das Risiko von Elisas Entdeckung eingingen, war ihm ihre kontinuierliche Behandlung wichtig. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, sie zu verlieren. Daher sollten die Kahuna Elisas Körper behandeln, selbst wenn sie zu ihrer Seele nicht vordringen konnten. Nicht einmal Kelii konnte das. Oft schien ihm Elisas Seele wie hinter einer Felswand eingemauert. Oder verloren in den tiefsten Tiefen eines ihm unbekannten Ozeans. Daher hielt sich Kelii an die Signale ihres Körpers, den er zumindest sehen konnte.
Auch Elisa hatte bisweilen Sorge. Das Gefühl der Taubheit in ihrem Unterleib, der Verlust ihrer Stimme und ihre Angst vor jeglicher Berührung waren hartnäckig. Sie ahnte auch, wie schuldig sich Kelii fühlen musste, konnte aber nichts dagegen tun. Trug er nicht letztendlich die Verantwortung für den Hass des weißen Mannes, der sich an Elisa entladen hatte? Hatte Kelii nicht ein Tabu zwischen ihren Völkern übertreten, indem er es wagte, eine Weiße zur Ehefrau zu begehren? Elisa konnte ihn davon nicht befreien. Wie ein unausgesprochener Fluch trennte sie dieses Tabu. Was Keliis Schwester durfte, nämlich einen Weißen zum Mann zu begehren, war ihm als Hawaiianer bei strenger Strafe verboten. Eine Zeit lang stand darauf sogar die Todesstrafe.
Keliis dumpfes Gefühl von Schuld war qualvoll. Selbst mit der Tausend-Nebel-Pflanze ließen die folternden Gedanken nicht nach. Das gewalttätige Zerreißen von Elisas Seele hatte ein großes schwarzes Loch in seinem Inneren hinterlassen. Bisweilen quälten ihn derartig heftige Rachegelüste, dass er sogar Elisa völlig vergaß. Schweißgebadet wachte er mit dem Wunsch auf, sich in Lihue in das Haus von Gerit Janson zu stehlen. Er wollte mit seinem Messer die Kehle des Weißen durchbohren und zusehen, wie er qualvoll und langsam starb, oder ihn sogar mit seinen eigenen Händen strangulieren. Es waren schreckliche Visionen, und sie waren pervers, denn nicht ihm hatte Janson Leid angetan. Doch Elisa hatte in der Waimea Schlucht ihre Hassgedanken abgelegt, um wirklich lieben zu können. Auch wenn ihr Weg dornig war, wollte sie ihn mit Kelii zusammen zu Ende gehen. Warum konnte er das nicht? Hatte sich ihr Durst nach Rache auf ihn übertragen? Kamen deshalb in seinen Träumen Dämonen zu ihm? Auch deshalb hatte Kelii Kauai verlassen wollen. Zwischen Janson und ihm mussten von nun an die Winde der Südsee die bösen Geister vertreiben.
Es war eine gute Entscheidung. Nach vielen Tagen Überfahrt auf teils
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