Tal der Tausend Nebel
Aber auch das hätte Clementia Vogel nie von sich aus derartig offen verbalisiert. Immer sprach sie von den Musen ihres Mannes Fried, obwohl der alte Fried kaum je malte.
So ganz konnte Elisa sich ihre strenge Mutter auf Frieds schattiger Lanai, der Veranda, zwischen den mandeläugigen Schönheiten noch nicht vorstellen, aber sie war dem alten Fried sehr dankbar. Es war bestimmt gut für ihre Mutter, von der Plantage und damit von Onkel Paul und Tante Katharina wegziehen zu können. Allein der Gedanke beruhigte Elisa sehr.
Auf der Farm in den Bergen plätscherten die Tage für Elisa und Kelii mit Nalanis Familie arbeitsreich und friedlich dahin. Kelii mochte den Mann seiner Cousine, denn Makaio war sanftmütig und großzügig. Aber das Leben in Oahus Bergen war anstrengender als in dem Fischerdorf auf Maui, in dem sie vorher lebten. Bei beiden nahmen Elisa und Kelii eine große Erschöpfung wahr. Sie halfen daher so viel sie konnten beim Anlegen von Vorräten und vor allem dem Hausbau, der mit Keliis Hilfe zügig voranschritt. Die Zeit der großen Stürme stand unmittelbar bevor. Jede Nacht suchten die Männer den Himmel nach Zeichen für einen Wetterumschwung ab. Doch es blieb zu ihrem Glück lange genug trocken, um das Dach des neuen Hauses fertig zu decken.
Elisa bewunderte Nalani von Tag zu Tag mehr. Auch wenn sie noch sehr erschöpft war, arbeitete sie jetzt jeden Tag länger im Sitzen am Webstuhl an den warmen Decken für die Kinder. Dabei sang sie immer ihre Lieder. Und wenn Nalani gerade nicht sang, scherzte sie mit den Kleinen oder sprach ihrem Mann aufmunternde Worte zu. Konnte sie nicht mehr, weil ihre Kräfte sie verließen, schlief sie von einem Moment zum nächsten ein, meist mit einem Lächeln auf den Lippen.
Elisa begriff, dass auch eine glückliche Frau bisweilen bis ans Ende ihrer Kraft gelangen kann. Aber im Gegensatz zu Elisas Kraftlosigkeit, die von dem Tumult in ihrem Inneren verursacht wurde, war Nalani komplett mit sich im Reinen. Daher schien die junge Mutter selbst im Schlaf noch zu lächeln. »Mahalo Mana Mano«, murmelte sie dann bisweilen, was so viel hieß wie vielen Dank, göttliche Kraft der Haifische.
Es wurde für Elisa mit jedem Tag leichter, Nalani zu helfen. Die drei Jungs mochten sie schon vom ersten Tag an, auch ohne Stimme. Sie hatte allen dreien kleine Flöten geschnitzt und brachte ihnen bei, einfache Lieder zu spielen. Mit Kohlestücken aus dem Feuer malten sie zusammen auf den Felsen, oder Elisa ließ die Jungs im Bach unter ihrer Aufsicht Fische angeln.
Der Bach war sonst für die Jungs kapu, also verboten, denn an einigen Stellen war er reißend und tief. Aber mit Elisa verbrachten sie dort viele vergnügliche Stunden, spritzten sich gegenseitig nass und versuchten, kleine Fische mit einem Netz zu fangen. Währenddessen half Kelii nach dem Dachbau beim Fertigstellen der Wände und Fensterrahmen. Aus Koa, dem geschmeidigen dunklen Bergholz, schnitzte er zuletzt eindrucksvolle Eingangspfosten für die Tür.
Nachdem sie die Innenwände und ein paar einfache Möbel gezimmert hatten, arbeiteten die Männer nur noch an den Nachmittagen an dem neuen Haus. Frühmorgens pflügten Kelii und Makaio mit den beiden Pferden das große Feld. Noch bevor die Stürme kamen, wollte Makaio auf dem fruchtbaren Boden Tarowurzeln aussäen. Im Jahr darauf hatte er vor, hier Ananas zu ziehen, denn angeblich war Ananas die Frucht der Zukunft.
Makaios Augen leuchteten vor Begeisterung, als er von seinen Plänen fürs kommende Jahr redete.
»Mit der Ananasfrucht werden wir schon bald sehr viel Geld verdienen. Im Palast in Honolulu sind die kleinen Pflanzen bereits angekommen. Dort wachsen sie beschützt in der Zeit der Stürme. Von unserer Königin bekommen wir genug Setzlinge, um auf allen Feldern Ananas zu ziehen.«
Es war das erste Mal, dass Elisa in Zusammenhang mit der Ananasfrucht den Namen Dole hören sollte. Zunächst war es der Name Sanford Dole. Der in Honolulu geborene Amerikaner war seit einiger Zeit der geschätzte Vertraute und die rechte Hand der Königin. Selbst nachdem Hawaii zur Republik werden sollte und die Monarchie stärker unter Druck geriet, wurde Sanford Dole unter den Hawaiianern auf Oahu hoch geschätzt. Wie konnte es auch anders sein? Sanford Doles Mutter war gestorben, als er noch ein Säugling war. Eine Hawaiianerin hatte ihn wie ihr eigenes Kind in Honolulu aufgezogen. Seine politische Karriere war eine Serie von Erfolgsmeldungen. Im Zusammenhang mit der
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