Tal der Tausend Nebel
Republik Hawaii waren seine Ideen in aller Munde.
Es rief vor allem bei den hawaiischen Frauen der gehobenen Gesellschaft Entzücken hervor, wenn Dole in ihrer eigenen Sprache Reden hielt. Man vertraute ihm und hielt ihn für einen der Ihren, einen Mann, der in dem Land verwurzelt und mit ihm verwachsen war und Hawaii niemals schaden würde. Immerhin hatte Sanford Dole als Außenminister dafür gesorgt, dass die Inselmonarchie Hawaii weltweit einflussreiche Verbündete hatte. Queen Victoria in England war eine von ihnen. Obwohl die Monarchie jetzt deutlich geschwächt war, stand Dole in den Augen der Hawaiianer stets auf Seiten der Urbevölkerung. Doch in den kommenden Dekaden sollte der Name Dole durch die Ananasfrucht noch eine ganz andere Bedeutung erlangen.
Weder Nalani noch ihr Mann ahnten, dass nie wirklich beabsichtigt war, dass die Hawaiianer durch die Ananasfrucht großen Wohlstand erlangten. Makaio wusste nur, dass vom Palast die ausdrückliche Empfehlung gekommen war, die kleinen Ananaspflanzen, die jetzt im Palast gezogen wurden, im kommenden Jahr auf ihrer Hochebene zu setzen und bestmöglich zu betreuen. Dafür sollten sie bei Erfolg angemessen entlohnt werden. Nalani war diejenige, die sofort große Träume hatte.
»Wir wünschen uns ein paar Angestellte und vielleicht sogar einen eigenen Lehrer für unsere Söhne. Das werden wir uns vielleicht schon bald leisten können. Und ich bekomme dann Hilfe im Haus, bei der Wäsche und beim Kochen …«
Ananas auf ihren Feldern erfolgreich anzubauen, das war der Zukunftsplan des jungen Paares. Dafür arbeiteten sie jeden Tag hart. Elisa bewunderte Nalani dafür. Sie hatte sich noch nie wirklich Gedanken über ihre gemeinsame Zukunft mit Kelii gemacht. Kinder, ein Haus oder überhaupt eine längerfristige Idee von ihrem gemeinsamen Leben mit Kelii schienen ihr unmöglich, solange sie stumm und auch sonst in ihren eigenen Augen keine vollwertige Frau war.
Obwohl Nalani auch nach zwei Wochen noch müde von der Geburt war und jedes Stillen sie anstrengte, lächelte sie bei dem Gedanken an die Zukunft ihrer Familie oft voller Zuversicht.
»Wir werden es schaffen, Elisa. Wir werden unseren Kindern ein schönes Leben bieten. Hier in den Bergen können wir sie vor der schrecklichen Krankheit Mai Pake schützen … Mit Gottes Hilfe und mit der Hilfe von Pele werden wir hier glücklich sein und ein langes Leben haben … Hier ist das Paradies.«
Sie zwinkerte Elisa verschwörerisch zu.
»Wenn es die Menehune, diese magischen Wesen, je gab, dann haben sie einst auch hier gewohnt … gleich dort drüben.«
Mit einem verschwörerischen Lächeln zeigte sie auf den großen Koa-Baum. Dort entstand gerade der erste Teil ihrer traditionellen Lanai, wie man die hawaiische Veranda nannte, auf der sich im Sommer das Leben abspielte. Täglich zimmerten Kelii und Makaio ein neues Stück Geländer. Es würde die ideale Aussichtsplattform werden, um zusammen mit den Kindern den Sonnenuntergang zu genießen, wenn das Tagwerk erledigt war.
Wenn die Vögel in der Dämmerung in den Bäumen rund um das Haus den wachsenden Dreiviertelmond besangen, war es ein magischer Ort. Nalani hatte recht. In dieser Zeit, in der politische Aufstände vor allem in den Städten und Dörfern der Inseln immer wieder für Unruhen sorgten, hatte sich das Paar einen traumhaften Flecken Erde ausgesucht. Es gab durch die Hochebene viel fruchtbares Ackerland, außerdem wehte so weit oberhalb der Küste auch im Hochsommer immer eine kühle Brise. Wenn Elisa auf den untersten Ast des alten Koa-Baums kletterte, konnte sie das Meer und sogar ein Stück weißen Strand sehen. Sie fühlte sich geborgen und verzaubert zugleich. Sie lächelte auf ihrem Ast, als sie um sich in die weichen, flachen Täler blickte. Vielleicht hatte Nalani recht und die Menehune, das legendäre Zwergenvolk Hawaiis, hatten einst wirklich hier gelebt.
In der letzten Woche auf der Farm, in den Tagen vor Vollmond, wurden die Männer auch mit den Feldern fertig. Kelii und Makaio hatten Früchte und Wurzeln geerntet und Elisa kochte einiges auf Vorrat. Es ging ihr hier gut, sehr viel besser als seit vielen Monaten. Doch immer noch war Elisa plötzlich aus dem Nichts erschöpft und auch ihre Übelkeit wollte nie ganz weichen. Dennoch legte sie sich hier auf der Farm zum ersten Mal seit langer Zeit abends mit zufriedener Erschöpfung auf ihr Lager auf der Lanai, das sie mit Kelii teilte. Sie liebte es, mit ihm zusammen in die Sterne zu
Weitere Kostenlose Bücher