Tal der Tausend Nebel
ganz gut gehen. Alles wird sein wie früher. Du wirst sehen …«
Als sie unter einem Baum rasteten, nachdem sie ein paar Früchte gegessen hatten, strahlte er sie plötzlich an.
»Wir werden bald eine Haut.«
Elisa hatte ihn zunächst nicht ganz verstanden. Da nahm er ihre Hand, legte sie auf sein Herz und bat Elisa, ihre Augen zu schließen. Sie sollte einfach nur zuhören, mit ihren Fingern zuhören, was in seinem Inneren geschah, wenn sie ihn mit ihren Fingerspitzen berührte.
»Wir werden sein wie ein Wesen … ich werde du, und du wirst ich. Spürst du mich?«
Elisa brauchte eine Weile. Langsam nahm sie mit ihren Fingerkuppen mehr als seinen aufgeregten Herzschlag wahr. Unter dem Pochen war ein Rauschen, ähnlich dem wilden Bach, dem sie den Berg hinauf bis zu den Wasserfällen folgen würden. Er flüsterte, um ihre Konzentration nicht zu stören.
»Folge dem wilden Bach tief in mich hinein.«
Er half ihr noch mit weiteren kleinen Hinweisen. Es war, als lernten ihre Fingerspitzen, zu Augen zu werden, die durch seine Haut drangen. Dann lernte Elisa sich mit seinem Atem zu verbinden, so lang, bis ihrer beider Luftströme zu einem wurden. Sie fing an, Bilder zu sehen. Aufgeregt schrieb sie auf den Block.
»Ich sehe das Riff … die Haie … ein kleines Mädchen. Sie hat eine schwarze Perle …«
Kelii nickte zufrieden.
»Das ist eine Erinnerung an meine Schwester. Als wir Kinder waren, haben wir am Riff der Haie getaucht. Eines Tages fand Leilani ihre erste Perle …«
Elisa spürte weiter mit ihren Fingerspitzen, doch jetzt kamen keine Bilder mehr. Plötzlich waren da Gefühle, schwer und voller Dunkelheit. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück. Sie schrieb:
»Da ist der Tod … ein weißer Mann …«
Kelii wusste sofort, was Elisa gefühlt hatte. Er senkte seinen Kopf.
»Ich habe einmal getötet, einen weißen Mann. Ich habe ihn vergraben … Nur mit den Kahuna in unserem Dorf habe ich darüber gesprochen. Nicht einmal mein Vater weiß es … Ich möchte diese Erinnerung nicht mit dir teilen. Ich will sie mit niemandem teilen … sie ist sehr hässlich …«
Aber Elisa schrieb erneut.
»Was genau ist passiert? Erzähle es mir bitte … ich muss es wissen.«
Ihrem flehenden Blick konnte er nicht lange widerstehen. Er fuhr mit zögernder Stimme fort.
»Ich war damals vierzehn Jahre alt. Der Matrose war betrunken, als er nachts alleine an unseren Strand kam. Ich sah, wie er hinfiel, in der Nähe der Felsen, an denen sich die Brandung bricht. Ich war fertig mit dem Fischen und wollte zurück ins Dorf. Da hat er um Hilfe gerufen. Er hatte sich auf dem Felsen sein Bein verletzt. Er tat so, als wollte er nur meine Hilfe … aber das stimmte nicht … Er wollte mich besitzen … wie die Weißen eine Frau besitzen wollen – mit Gewalt.«
Keliis Stimme erstarb abrupt. Elisa wollte ihn nicht weiter drängen. Sie konnte sich den Rest vorstellen. Hätte sie in der Grotte ein Messer gehabt, sie hätte ebenfalls getötet. Sie wollte weitergehen, aber Kelii hielt sie fest.
»Ich möchte es dir ganz erzählen … Als der Matrose in meinen Armen an dem Messerstich gestorben ist, hat er nach seiner Mutter gerufen. Es war schrecklich … willst du die Bilder sehen?«
Elisa nickte und legte ihre Fingerkuppen erneut auf die Haut über seinen Rippen. Sein Herz schlug darunter hart und schnell.
Kelii hatte seine Augen geschlossen und ließ Elisa die schrecklichen Bilder sehen, die in seinem Inneren wüteten.
Der Matrose lachte, sobald er Kelii zu fassen bekam. Er war stark, betrunken und sagte ekelhafte Worte. Der Mann versuchte, dem Jungen Gewalt anzutun. In seiner Panik, weil er sich aus dem Griff des schweren Matrosen nicht befreien konnte, stach der Junge zu, wieder und wieder.
Elisa nahm langsam ihre Hand von seinem Herzen.
Sie spürte auch nach der langen Zeit noch seinen Schmerz und die Verzweiflung über seine Tat. Als er sprach, war seine Stimme nur ein Flüstern, aber jedes seiner Worte drang tief in Elisas Seele ein.
»Du willst keine Rache nehmen, meine Liebste. Gewalt frisst ein Stück Licht aus deiner Seele. Wenn, dann werde ich Janson für dich töten. Ich habe schon getötet, und der Tod war mein Lehrer. Aber du gehörst dem Leben. Du bist meine Haifischfrau und vielleicht wirst du einmal eine sehr mächtige Kahuna …«
Nur wenige Stunden später lag Elisa auf Hokus Matte, um endgültig von Jansons Gewalttat geheilt zu werden.
»Du, Elisa, entspanne dich jetzt, während ich ein paar Worte
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