Tal der Tausend Nebel
an diesem Tag, an dem sie wie immer abends miteinander telefonierten, anderer Meinung.
»Nein, ich glaube, du hast dich verliebt, Süße. Zudem hast du heftigen Mist mit diesem Typen erlebt. Das sind jetzt noch die Nachwirkungen. Lass Stefan vielleicht doch lieber allein zum Geburtstag seiner Mutter fahren. Nimm dir Zeit für dich selbst, und wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, rufst du mich an. Aber, und das rate ich dir als deine beste und allerbeste Freundin, lass die Finger von diesen Liebesbriefen! Sonst hört deine Träumerei nie auf.«
Dann lagen eines Morgens Keanus weitere Briefe in einem Sammelumschlag in ihrem Briefkasten, Absender war Malika. Stefan reichte ihr den handbeschrifteten dicken Umschlag.
»Wer ist denn Malika? Eine neue Freundin?«, fragte er neugierig.
»Nicht direkt eine Freundin, aber eine weltweit engagierte junge Frau. Sie wollte, dass ich mir ihre Materialien über ein Kinderhilfsprojekt ansehe. Danke!«
Wenig später legte Maja die zwölf Luftpostumschläge mit den amerikanischen Blumenbriefmarken zu den anderen zehn, die immer noch ungeöffnet waren. Sie hasste es zu lügen, dachte sie, als sie obenauf den Schwangerschaftstest legte, den sie sich heimlich in der Apotheke besorgt hatte. Der Test war nur für alle Fälle, beruhigte sie ihr ängstlich klopfendes Herz. Sie wollte ganz einfach sicher sein, dass in dieser einen Nacht, in der ihr Verstand scheinbar ausgesetzt hatte, wirklich nichts passiert war.
Keanus Briefe versteckte sie in der Schachtel mit ihren Alben, die sie erst vor Kurzem aus dem Haus ihrer Eltern in Stefans Wohnung geholt hatte. Dann ging sie, um Stefan weiter anzulügen, diesmal wegen ihres geplanten Wochenendes.
Warmes Sonnenlicht schien auf seine ungekämmten Locken. Er saß wie so oft an seinem Computer an dem kleinen Couchtisch vor dem Fernseher, als Maja leise ihr Wohnzimmer betrat. Er sah noch nicht einmal von seiner Arbeit auf, sondern tippte weiter.
»Du kommst nicht mit mir zu Mutters Geburtstag, nicht? Lass mich raten … du fühlst dich mal wieder nicht gut. Was ist es diesmal? Eine drohende Darmgrippe oder unerträgliche Kopfschmerzen?«
Maja setzte sich zu ihm auf den Boden und legte ihm in einer vorsichtigen Geste des Mitgefühls die Hand auf die Schulter. Er tat ihr wirklich leid. Stefan litt seit Nizza wie ein Hund. Trotzdem bemühte er sich um ein wenig Leichtigkeit.
»Sagen wir doch einfach, Maja hat seit Nizza die Schneckenkrankheit. Und Stefan gelingt es diesmal irgendwie so gar nicht, seine Süße aus ihrem Haus hervorzulocken …«
»So in etwa könnten wir es stehen lassen. Aber du hast recht, ich möchte nicht mitfahren.«
Stefan nickte, aber sie spürte seine unterdrückte Wut. Seine Stimmung schwankte jetzt meistens zwischen einem diffusen Mitleid für sie und seiner ohnmächtigen Wut. Maja versuchte ein Lächeln.
»Ehrlich gesagt ist es nicht nur mein Körper, der in seinem Schneckenhaus bleiben möchte. Es ist mehr als das. Ich möchte … nein, ich muss einfach allein mit mir sein … Das wird mir guttun.«
Er sah sie abschätzend an, von oben bis unten, wie er das manchmal mit seinem Ärzteblick tat.
»Du wirst nicht das ganze Wochenende mit Frustfraß verbringen?«
Maja wusste, wie ihm ihr Körper missfiel, seit sie aus Nizza zurückgekehrt waren. Sie hatte fast drei Kilo zugenommen. In emotional unausgeglichenen Phasen aß sie viel Schokolade. Stefan hatte es ihr in den letzten Wochen mehrfach vorgeworfen.
»Fernsehen, Fressen und viel zu viel Zuhause, aber dabei überhaupt keine Lust auf Sex … Es ist jetzt über einen Monat her, Maja!«
So war es tatsächlich. Dabei war Maja außer dem Wanderwochenende mit Ina in den letzten Wochen hauptsächlich zu Hause gewesen, allerdings am liebsten, wenn Stefan in die Klinik ging. War er da, war sie gerne bei ihren Eltern oder ihrer Freundin, um ihm aus dem Weg zu gehen. Sie wollte nicht mit ihm schlafen. Allein der Gedanke daran war ihr zuwider. Stefans Stimme war jetzt sachlich.
»Meiner Meinung nach steckst du seit dem Seminar in Nizza in einer Depression. Du musst was dagegen tun.«
Er stand hinter dem Computer auf und streckte seine Arme in die Höhe. Maja konnte das straffe Sixpack seiner Bauchmuskeln bewundern. Einst fand sie seinen Körper göttlich, aber jetzt reizte er sie nicht im Geringsten. Sie konterte.
»Frauen sind nicht immer gleich. Wir gehen durch unsere emotionalen Phasen. Und weißt du, noch sind wir nicht verheiratet. Du kannst es dir immer noch
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