Tal der Tausend Nebel
schüttelte lachend den Kopf.
»Nein, nie gehabt. Ich glaube, wenn ich mich als Lehrerin um eine Beamtenstelle bemühe, ist das viel klüger. Heiler verdienen mir zu wenig …«
Malika konterte mit noch lauterem Lachen.
»Du willst Lehrerin werden? Jeden Tag dreißig Schreihälse, die auf deinen Nerven herumtrampeln? Das ist aber auch nicht ohne!«
Malika lächelte breit.
»Es ist schon spannend, wie Hawaii zu dir gekommen ist, obwohl du selber noch nie dort warst. Es ist das Mana. Es findet jeden von uns. Man sagt auf Hawaii, dass es an der Göttin Pele liegt. Sie ruft ihre Kinder irgendwann zu sich …«
Die Oktobersonne schien Maja warm ins Gesicht, als sie zurück auf die Straße ging. Es war nicht einmal zwei Stunden her, seit sie nach ihrem Besuch auf dem Oktoberfest zu Malika gekommen war. Vielleicht stimmte es, dass Pele alle Kinder mit hawaiischem Blut eines Tages zu sich rief. Durch ihre Träume von Elisa Vogel fühlte sich Maja mit Hawaii verbunden. Auch ihre Begegnung mit Keanu, der mit ihrem Vater verbunden war, trug dazu bei und vielleicht gab es ja wirklich ein Stück Land auf Kauai, das auf verschlungenen Wegen eines Tages in die Hände ihrer Familie gelangen sollte.
Ihr Handy klingelte. Sie erkannte Stefans Melodie und seufzte. Mit ihm und seinen Freunden war sie heute Abend noch einmal auf dem Oktoberfest verabredet, hatte aber gerade nicht die geringste Lust dazu. Lieber würde sie sich am Abend irgendwo verkriechen, wo sie ungestört sein konnte, um in Ruhe Keanus Briefe zu lesen.
Maja wartete, bis Stefans Klingeln aufhörte. Als sie daran dachte, wie gerne ihr Freund in Tracht mit ihr auf das Oktoberfest ging, um sie stolz seinen Freunden zu präsentieren, krampfte sich alles in ihr zusammen. Bestimmt liebte sie ihn in der Tiefe ihres Herzens, aber fühlen konnte sie es im Moment nicht. Wahrscheinlich hatte ihre Gefühlskälte ihm gegenüber mit ihrer Affäre mit Keanu zu tun. Aber vielleicht war auch die Begegnung mit Elisa in ihren Träumen an ihrer Entfremdung schuld. Sie hatte versucht, mit Stefan über Träume zu reden, doch er wollte nichts davon hören. Dennoch bewirkten gerade die Träume eine schrittweise Veränderung in Maja, die sie immer weiter von ihrem Leben mit Stefan wegzog. Seitdem sie die Côte d’Azur verlassen hatte, war Elisa noch einige Male zu ihr gekommen, und vor ein paar Tagen war es intensiver gewesen als je zuvor.
Maja war sich inzwischen fast sicher, dass ihre starke Verbindung zu Elisa nichts mit Keanu direkt zu tun hatte. Es kam ihr so vor, als sei sie selbst in ihrem früheren Leben Elisa Vogel gewesen. Das würde auch das Porträt erklären, das sie im Internet gefunden hatte. Elisa hatte sich selbst in der Zukunft gemalt. Aber dann zweifelte sie wieder, denn wie konnte es sein, dass eine Frau aus der Vergangenheit wusste, wie sie in Zukunft in einem anderen Leben aussehen würde? War so etwas überhaupt möglich?
Konfuse Gedanken nährten die Idee eines vorbestimmten Schicksals, denn Maja war in ihrem Leben bisher nie schicksalsgläubig gewesen. Sie hatte auch nie an Reinkarnation und frühere Leben geglaubt, wie sie Stefan versichert hatte, als sie ihm von Elisas Erscheinen in ihren Träumen erzählt hatte. Andererseits schien ihr eine Art Seelenwanderung die einzige halbwegs logische Erklärung für das Porträt im Internet zu sein.
Aber Stefan hatte die Zeichnung von Elisa Vogel, die mehr als ein Jahrhundert als war, sehr viel nüchterner kommentiert.
»Stimmt, die Frau auf der Zeichnung sieht dir ähnlich. Aber das ist wohl einfach diese exotische Mischung aus Europa und Südseeschönheit. Ist doch nett, dass es vor mehr als hundert Jahren auf Kauai eine Frau gab, die dir ähnlich sah … Aber jetzt gehen wir zusammen Squash spielen, ja?«
Stefan versuchte, Maja für ihr gemeinsames Leben zu interessieren und sie von Elisa Vogel loszueisen. Maja versuchte so gut sie konnte mitzumachen, aber es gelang ihr nicht wirklich. Elisa war ständig in ihren Gedanken. Maja wartete jede Nacht darauf, in ihren Träumen mit ihr zusammen zu sein, und tagsüber schrieb sie alles akribisch auf.
Wieder klingelte ihr Handy. Diesmal war es ihr Vater und Maja ging ran. Seine sonst ruhige Stimme klang aufgeregt.
»Kannst du sofort zu mir ins Büro kommen? Es ist etwas geschehen … es betrifft dich und ist wichtig.«
Keine halbe Stunde später saß Maja im Büro ihres Vaters in der Münchner Innenstadt. Sie trank eine starke Tasse Kaffee, um klar im Kopf zu
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