Tal der Tausend Nebel
Überraschungsbombe platzen lassen. Die ganze Familie war gekommen, um gemeinsam zu feiern. Max hatte ein kitschiges Hawaii-Poster entrollt, Maja hatte Blumenketten verteilt und dazu Hula-Musik gespielt. Dann hatten sie dem Rest des Kemper-Klans mitgeteilt, dass es von jetzt an einen Garten auf der Insel Kauai geben würde, den man besuchen könnte. Von nun an würden ihre hawaiischen Wurzeln eine größere Rolle in der Familie Kemper spielen, da Max beschlossen hatte, das späte Erbe seines leiblichen Vaters anzutreten. Es gab anscheinend außer ihm keine rechtmäßigen Erben und er hatte bereits seinen Flug gebucht, um die rechtlichen Dinge vor Ort zu klären. Maja würde ihn dabei begleiten.
Natürlich wurden sofort einige Stimmen laut, die zum Verkauf rieten und sich auf bares Geld freuten. Es war immerhin ein Grundstück mit einem grandiosen Blick aufs Meer, wie einige Fotos zeigten. Hawaii sei doch inzwischen mehr oder weniger eine Ferienkolonie der Amerikaner. Dazu lächelte Max sanft, sprach wenige und sehr bestimmte Worte. Das wäre ganz alleine seine Entscheidung. Er würde durch Maja immerhin bald ein Enkelkind bekommen, das seine Wurzeln auf der Insel Kauai hatte. Wer weiß, was das für die Zukunft bedeuten würde. Die Geschwister schwiegen. Einerseits bewunderten beide Maja für ihren Mut, aber so richtig verstehen konnte sie weder ihre Schwester noch ihr Bruder. Das Leben von alleinerziehenden Eltern war schließlich alles andere als einfach.
Maja und Max setzten sich kurz nach Weihnachten in den Flieger. Auf Oahu verbrachten sie relativ viel Zeit in einer größeren Kanzlei im Zentrum von Honolulu, um rechtliche Fragen zu klären. Es gab verschiedene ungeklärte Fakten. Maja war vor allem daran interessiert zu erfahren, wie das Grundstück in die Hände des Mannes geraten war, der ihr leiblicher Großvater war. Aber auf den ersten Blick ließ sich nur eine entfernte Verbindung zu Elisa Vogel feststellen. Ihr hatte dieses Land ursprünglich vor über hundert Jahren nach dem Tod ihres Vaters gehört, wurde aber dann ihrer Mutter Clementia überschrieben. Bei deren Tod ging es an Elisas Tochter Victoria, obwohl es ein jahrelanges Gerichtsverfahren gab. Elisa hatte gegen Victoria prozessiert. Victoria hatte es auch deswegen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für sehr wenig Geld an einen Offizier der US Navy verkauft, an Majas unbekannten Großvater. Dieser Mann wiederum wollte es seinem ältesten Sohn vermachen, wie es unter Hawaiianern üblich war. Das Grundbuch mit den entsprechenden Einträgen lag vor, und Maja studierte aufmerksam jedes noch so kleine Detail. Auf der rechtskräftigen Besitzurkunde aus dem Jahr 1948 sah sie die Unterschrift ihres leiblichen Großvaters. Es war die gleiche Signatur, wie auf Max’ Geburtsurkunde aus dem Jahr 1946. Aber niemand wusste, was aus dem ehemaligen hawaiischen Berufssoldat nach 1948 geworden war. Es gab weder irgendwo eine Todesurkunde von Max’ Vater noch hatte er je länger auf dem Grundstück auf Kauai gewohnt. Überhaupt hätte dort nie ein Haus gestanden, sondern lediglich ein kleiner Schuppen, den er im Sommer 1948 errichtet hatte. Ein verblichenes Schwarz-Weiß-Foto lag bei: ein Schuppen zwischen windschiefen Apfelbäumen, dahinter Felsen und das Meer. Das war es also, ihr eigenes Stück Land auf Kauai, dachte Maja und drehte aus einem plötzlichen Impuls heraus das Foto um. In Bleistift gekritzelt und kaum noch zu erkennen stand dort ein Name: Elisa.
Nebenbei erkundete Maja mit ihrem Vater die Insel Oahu. Maja wollte die kleine Farm in den Bergen finden, die Keanu für sie gezeichnet hatte. Das war nicht ganz einfach. Aus der Erinnerung ihrer Träume wusste Maja, dass es die Nordküste der Insel war, von der aus es hoch in die Berge ging, aber ansonsten hatte sie nur wenige Anhaltspunkte. Die Dole Ananasfabrik war einer von ihnen.
Die alte Fabrik, in der Generationen von hawaiischen Arbeitern meist unter menschenunwürdigen Bedingungen gearbeitet hatten, war inzwischen eine der wichtigsten Touristenattraktionen der Insel. Dort stand auf einer Informationstafel viel über den ersten Ananasanbau auf der Insel und den Wohlstand, den die Ananasfrucht nach Oahu gebracht hatte. Aber die Namen Nalani und Makaio konnte Maja nirgendwo entdecken. Überhaupt war nur von der weißen Familie Dole die Rede und nicht von den Hawaiianern, denen das Land hier ursprünglich gehörte.
Ein alter hawaiischer Wachmann, der fast keine Zähne mehr im Mund hatte, erkannte
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