Tal der Tausend Nebel
gab nie eine bedrohliche Situation, denn es war in deinen Augen ein harmloses Spiel mit Masken und Wasserpistolen. So könntest du es der Polizei in Nizza notfalls schildern, oder? Dieser arme Mann muss woanders ums Leben gekommen sein …«
Seit dem Gespräch mit ihrem Vater waren einige Tage vergangen. Maja hatte sich zurückgezogen, um nachzudenken. Weder mit Stefan noch mit ihrem Vater und schon gar nicht mit ihrer Mutter wollte sie über ihre Gefühle reden, die jetzt mit jedem Tag stärker wurden. Eine starke Unruhe hatte von ihr Besitz ergriffen, und sie brauchte dringend ein paar Tage Abstand und Ruhe. Auf Inas Rat beschloss sie, ihre Wohnung zu verlassen, um Stefans weiteren Gesprächsversuchen auszuweichen.
Mitten in der Nacht quartierte Ina die Freundin bei sich ein, aber über ihre Probleme reden wollte Maja nicht. Da das Wochenende vor der Tür stand, nutzten die Freundinnen das schöne Wetter und fuhren in den Chiemgau, um beim Wandern wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Maja war den Samstag über eher schweigsam. Erst am Sonntagmorgen brach es aus ihr heraus.
»Ich kann das nicht länger alleine!«
Ina kam aus der Dusche des einfachen Zimmers, das sie sich in den Bergen gemietet hatten.
»Na endlich … ich dachte schon, dass du es mir nie sagen würdest. Was ist mit Stefan und dir? Er hat mir vorhin schon wieder eine SMS geschickt, um sich nach dir zu erkundigen, denn er macht sich inzwischen große Sorgen. Und die mache ich mir langsam auch. Was ist mit dir?«
Mit Ina konnte Maja normalerweise über alles reden. Schließlich kannten sie sich eine Ewigkeit. Aber diesmal ging es nicht. Maja wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Ina fing an zu raten.
»Ist es der Mann aus Kauai?«
»Nein. Ja. Ich weiß nicht. Er hat mir Briefe geschrieben, aber ich will sie gar nicht lesen …«
»Dann liebst du Stefan also noch?«
»Natürlich liebe ich ihn. Aber ich kann nicht mehr mit ihm schlafen. Ich bin wie blockiert …«
So ging es eine Weile hin und her, aber auch Ina war keine große Hilfe. Die Freundin machte sich nur Sorgen, denn sie verstand Maja auch dann nicht, als sie alle Details im Zusammenhang mit dem Vorfall in Nizza erfahren hatte.
»Ich bin verdammt froh, dass der Hawaiianer mit der Knarre dich vor einer Vergewaltigung gerettet hat, Süße. Aber jetzt muss Schluss sein mit dem Unsinn. Gib mir einfach seine Briefe. Der Typ macht dich noch wahnsinnig mit seinen verqueren Ideen, und er gefährdet deine Beziehung mit Stefan. Du gehörst zu uns, zu deiner Familie und den Freunden in München. Der einmalige Ausrutscher, diese eine Nacht … Du vergisst sie am besten. Nach so einem Schock ist man nicht wirklich man selbst …«
Maja versuchte zu lächeln.
»Und ich gehöre deiner Meinung nach zu Stefan?«
»Unbedingt! Er ist dein Traummann, ihr liebt euch und du wirst diese Krise überstehen!«
Ina hatte begonnen, Majas Haare zu kämmen, die vom gestrigen Wandern im Wind zerzaust waren, und formulierte ihren nächsten Gedanken mit Absicht vorsichtig.
»Aber es ist wichtig, deine Gefühle sorgfältig zu prüfen, bevor du dein endgültiges Jawort gibst … Nur bitte lenk dich nicht mit einem anderen Mann ab. Ein Typ aus Hawaii, den du kaum kennst und der wie ein amerikanischer Schauspieler heißt? Es kann nur ein Ablenkungsmanöver sein!«
Maja wusste nicht, ob Ina recht hatte. Zu diesem Zeitpunkt herrschte in ihr bereits Gefühlschaos. Auch deshalb öffnete sie Keanus Briefe nicht an diesem Wochenende in den Bergen, obwohl sie sie stets in ihrem Wanderrucksack bei sich hatte.
Nach dem Wochenende mit Ina kam Maja zurück in die gemeinsame Münchner Wohnung. Doch schon das Herumdrehen ihres Schlüssels in der Eingangstür fühlte sich auf einmal nicht mehr richtig an. Sie antwortete nicht auf Malikas E -Mail, in der sie ihr mitteilte, dass noch weitere Briefe aus Kauai angekommen seien. Aus einem Grund, den sie erst Tage später verstehen würde, war sie wie gelähmt. Mit Mitte zwanzig hatte sie das schreckliche Gefühl, in einer emotionalen Sackgasse angekommen zu sein, an deren Ende eine himmelhohe Mauer aus stumpfer Eintönigkeit stand.
Obwohl sie in die Uni ging und zudem halbe Tage in einer netten Schule verbrachte, in der sie ein Kunstpraktikum mit einer vierten Klasse machte, schien die Zeit in ihrem Inneren gänzlich stillzustehen.
»Ich fühle nichts mehr … vielleicht habe ich doch ein Burnout, wie meine Mutter meint. Auch Stefan redet inzwischen davon.«
Aber Ina war auch
Weitere Kostenlose Bücher