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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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jedoch die kleine Farm auf Keanus Zeichnung sofort und lächelte. Die hawaiischen Worte, die er vor sich hinmurmelte, konnte Maja nicht verstehen, aber seine Wegbeschreibung half ihnen weiter.
    Keanus hawaiische Tutu war eine schöne Frau und noch relativ jung für eine Großmutter. Ihre sprühenden dunklen Augen bildeten einen aparten Gegensatz zu ihrem schlohweißen Haar, das sie in einem langen Zopf auf dem Rücken trug. Dabei konnte sie bei ihrer vitalen Ausstrahlung höchstens sechzig Jahre alt sein.
    Als sie erfuhr, wer Maja war, lud sie Vater und Tochter zu einer Tasse Tee auf ihrer Lanai ein. Sie sprach sehr gut deutsch, da sie, wie sie erzählte, einige Jahre in Heidelberg studiert hatte. Während sich Max und sie unterhielten, konnte Maja sich in Ruhe umsehen.
    Keanu hatte in seinem Brief, der der Zeichnung beilag, einiges über diesen Ort geschrieben. Der Koa-Baum, der schon stattlich war, als Elisa vor mehr als hundert Jahren auf ihn kletterte, war jetzt ein eindrucksvoller Baumriese. Tutu lächelte, als sie sah, wie Maja den Stamm voller Ehrfurcht berührte.
    »Der alte Koa ist mein Freund, aber seine Wurzeln machen mir hier alles kaputt. Koa hebt meine Lanai an einer Seite so hoch, dass der Tee ein Eigenleben hat! Schau!«
    Tatsächlich stand der Tee mit dem feinen Jasminaroma, den Tutu aufgebrüht hatte, deutlich schief in den drei Tassen. Maja und Max schmeckte er trotzdem. Zum ersten Mal, seit sie vor fast einer Woche in München aufgebrochen waren, fühlte Maja sich wieder geerdet. Honolulu war eine Großstadt, aber hier oben, weit über den Ananasfeldern und der scheußlichen Fabrik, war es unglaublich friedlich. Dieses Fleckchen Paradies war geblieben und gehörte immer noch der ursprünglichen Familie, wie Maja von Keanus Tutu erfuhr.
    »Es war ein harter Kampf … und ohne Elisa Vogels Hartnäckigkeit hätte mein Vater Eli ihn nie gewonnen. Kommt mit mir, ich zeige euch etwas.«
    In dem großen Wohnraum, dessen Fenster und Türen sich ringsherum auf die Lanai öffneten, hingen zwei Porträts. Maja erkannte die Gesichter aus ihrem Traum sofort. Nalani und Makaio waren hier um einiges älter, vielleicht in ihren Vierzigern. Aber sie wirkten stattlich, stolz und immer noch glücklich verliebt. Maja bat Tutu, ihr zu erzählen, was mit dem Paar geschehen war. Wurden sie reich und glücklich durch die Ananasfrucht?
    Tutu schüttelte traurig ihren Kopf.
    »Nein, es kam ganz anders. Das Glück war ihnen nicht hold, denn Nalanis größte Angst sollte sich bewahrheiten. Die furchtbare Krankheit Mai Pake kam genau zur Jahrhundertwende in die Berge. Sie wurde von den chinesischen Feldarbeitern eingeschleppt, die von der Familie Dole als billige Arbeitskräfte gekauft worden waren. In Windeseile breitete sich die Lepra unter den Hawaiianern aus. Sie nahm Nalani innerhalb von zwei Jahren ihre drei blühenden Söhne. Auch ihr Mann Makaio wurde krank. Die weiße Polizei kam und zwang ihn, sein Haus zu verlassen. Wie alle anderen Leprakranken musste er auf die Insel Molokai, um niemanden anzustecken. Aber nachdem Nalani schon ihre Söhne verloren hatte, begleitete sie meinen Großvater auf die Insel der Kranken. Durch Elisas Pflege gesundete er dort auf wunderbare Weise. Siehst du seine Nase, auf dem Porträt? Hier, die weißen Flecken … Großvater blieb für sein Leben von Mai Pake gezeichnet.«
    Die elegante Frau mit dem Kaurischmuck an den Armen zeigte auf die Stelle in dem Porträt. Maja konnte es gut erkennen, aber sie bestaunte vor allem auch die Maltechnik. Tutu versuchte zu lächeln, aber es fiel ihr sichtlich schwer.
    »Wie du sehen kannst, konnten meine Großeltern das Haus, das sie für ihre Familie gebaut haben, behalten. Aber das war so ziemlich alles, was ihnen blieb. Selbst im Jahr 1940, als ich geboren wurde, musste mein Vater Eli deswegen immer noch mit seiner Mutter gegen die weißen Anwälte kämpfen.«
    Maja konnte ihren Blick nicht von den beiden Porträts losreißen.
    »Es ist unglaublich, wie Elisa Vogel sich als Künstlerin weiterentwickelt hat. Ich habe einige frühe Landschaften von ihr im Internet gesehen, aber nur ein einziges Porträt. Die Zeichnung einer jungen Frau, die mir ein wenig ähnlich sieht …«
    Tutu lächelte verschwörerisch.
    »Meine Großmutter Elisa ist für viele von uns ein Geheimnis, aber auch ein Wunder gewesen, weil sie das Unmögliche möglich machen konnte. Da wo andere keinen Weg sahen, nahm sie ihren Stock und kämpfte. Sie war unser großes Vorbild. Nur

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