Tal der Tausend Nebel
durch sie ist mein Großvater Makaio wieder gesund geworden. Ich habe durch Elisa auch diese anderen Großeltern noch kennengelernt, aber da waren Nalani und Makaio schon sehr alt. Ich hatte nämlich insgesamt sechs Großeltern. Das ist hier bei uns keine Seltenheit …«
Tutu lächelte und trank einen Schluck Tee.
»Elisa war eine große Heilerin. Ihre vier Jahre auf der damaligen Leprainsel Molokai sind legendär. Man nannte sie dort nicht nur die Haifischfrau, sondern auch die Zauberlilie von Molokai. Solltest du einmal nach Molokai fahren, dann wirst du eine kleine Gedenkstätte für sie finden, an der täglich Blumen niedergelegt werden. Elisa hat durch ihre Heilkünste sehr vielen Menschen geholfen. Aber ohne ihren kampfbereiten Stock wären auch dieses Haus und Grundstück nicht mehr in meinem Besitz. Die Familie Dole hatte sich unser Haus bereits unter den Nagel gerissen. Aber Elisa gab nicht auf, und eines Tages konnten Nalani und Makaio wieder einziehen. Sie sind hinten auf dem Grundstück beerdigt, neben ihren drei Söhnen. Willst du es sehen?«
Später, als Max und Maja sich verabschiedeten, musste Maja noch eine Frage stellen, die sie seit Längerem beschäftigte.
»Die Verwandtschaftsverhältnisse, oder besser gesagt die Nachkommen von Elisa Vogel, sind mir nicht ganz klar. Wie genau ist Keanu mit Elisa verwandt?«
Tutu spitzte ihren Mund, so als würde sie ein Lied pfeifen. Dann rollte sie mit den Augen.
»Du willst es wirklich genau wissen? Reden wir hier über Blutanteile und Prozente im deutschen Sinn oder über echte Verwandtschaft? Was die echte Verwandtschaft betrifft, auf die es ankommt, so ist Elisa eine meiner drei Großmütter, weil Eli mein Vater war. Keanu wiederum ist mein Enkel, also ist Elisa seine Ur-Urgroßmutter.«
»Aber ich dachte, Eli war Makaio und Nolanis Sohn?«
Tutu zog die Augenbrauen hoch. Sie sah Maja jetzt durchdringend an und spitzte erneut ihren Mund.
»Welches Vögelchen hat dir denn das zugezwitschert? Oder hatte mein Enkel etwa recht? Bist du eine Traumgängerin?«
Auf dem Rückweg, als ihr Vater die schlängelnde Bergstraße in Richtung Honolulu fuhr, verstand Maja immer noch nicht genau. Die Frau in den Bergen hatte ihr gerade trotz allem weismachen wollen, dass Eli der Sohn von Elisa Vogel war. Das ergab aber so doch gar keinen Sinn, denn Maja wusste es besser.
Ihren ersten Traum von Elisa hatte Maja, nachdem sie und Max den Iolani-Palast im Zentrum von Honolulu besichtigt hatten und von dem lauten Hotel in der Innenstadt in eine Unterkunft am Meer umgezogen waren. Obwohl die Insel über die Feiertage ausgebucht war, hatte Tutu ihnen per Telefon schnell eine bessere Unterkunft organisiert.
»Das ist Familie, versteht ihr, die nehmen keine normalen Touristen, sondern vermieten nur auf Empfehlung … Dakine.«
Tutus Zwinkern war wie ein Sonnenstrahl, als sie Maja zum Abschied in den Arm nahm und drückte.
»Sag meinem Enkel einen schönen Gruß von seiner Tutu, wenn du ihn auf Kauai siehst. Er soll auf dem Hibiskus-Ball einen Tanz für mich mittanzen!«
In der Nacht darauf, als Maja sich erschöpft von dem sanften Rauschen der Wellen vor der Veranda ihres Bungalows in den Schlaf fallen ließ, träumte sie zum ersten Mal seit ihrer Abreise aus München.
17. Kapitel
Iolani-Palast, Honolulu, Frühjahr 1895
Es war ein unglaubliches Gefühl für Elisa, nach all den Monaten jeden Mittag wieder in einer warmen Badewanne liegen zu können, bevor sie zu Kelii in den Lustpavillon ging, um ihre täglichen Übungen zu machen. Sie entspannte sich in dem weichen erwärmten Meerwasser mit den duftenden Jasminblüten völlig. Ihr Schwangerschaftsbauch war jetzt wohlgerundet, aber sie machte sich keine Sorgen um Jansons Baby. Hoku hatte alles in Ordnung gebracht, was in Elisa vorher im Ungleichgewicht war. Die grausame Tat lag durch Hokus Behandlungen hinter ihr. Das Schicksal des Kindes war bereits entschieden. Es würde nicht bei Elisa aufwachsen, so hatte Hoku es bestimmt. Als weißes Baby würde es gute Eltern finden, das sagte auch Königin Lili’uokalani, allerdings mit traurigem Blick. Für sie war es eine Tragödie, was mit Elisa geschehen war. Einmal, als Elisa allein bei ihr zum Tee geladen war, brachte Lili’uokalani das Thema zur Sprache.
»Noch bin ich die Königin. Ich könnte diesen Gerit Janson verhaften und einsperren lassen.«
Aber Elisa schüttelte energisch ihren Kopf.
»Ich bin geheilt. Das Baby wird gute Eltern finden. Und wenn Janson auf
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