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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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ihr Kind, das jetzt schon nach seinen Wurzeln suchte? Was lebte in Majas eigenen hawaiischen Genen? Warum hatte sie an diesem Flecken Erde das Gefühl, jederzeit ihre Flügel ausbreiten und in den Sonnenuntergang fliegen zu können? Elisa musste sie hierher gerufen haben, um etwas zu vollenden, dachte sie und schloss ihre Augen.

21. Kapitel
    Hibiskus-Ball, Jahreswende 1900

    Als würde das kleine Mädchen spüren, wer sich hinter dem Vorhang versteckte, starrte es immer wieder in ihre Richtung. Elisa aber mied den Blick der Kleinen. Sie verspürte weder Wehmut noch Sehnsucht, sondern nackte Angst. In den graublauen Augen des fünfjährigen Mädchens sah sie etwas Starres und Unbewegliches. Ihre Bewegungen waren die eines mechanischen Püppchens. Sie erinnerte Elisa an Gerit Janson und die schreckliche Nacht, in der das Kind entstanden war.
    Elisa hatte ihre Tochter ganze fünf Jahre lang nicht gesehen. Sie war mit ihrer Familie lange auf Maui gewesen, um dort mit Kelii die Tausend-Nebel-Heilpflanze im Geheimen zu kultivieren, da diese Pflanze auf Kauai und auf Oahu laut einem neuen Gesetz der Weißen verboten werden sollte.
    Die Augen des kleinen Mädchens suchten und fanden einen kurzen Moment die Augen ihrer Mutter. Das kleine Mädchen klatschte vor Freude in die Hände. Auch Elisas Herz begann laut zu klopfen. Ihre Tochter, dieses Kind war trotz allem ihr Fleisch und Blut und würde es auch immer bleiben, das wurde ihr in diesem Moment bewusst. Diese Erkenntnis tat weh. Lange war Elisa fort gewesen, hatte von Hoku und anderen Heilern viel gelernt und führte mit Kelii und Eli das Leben einer glücklichen Familie. Aber jetzt fühlte sie einen scharfen Stich. Hier auf Kauai fühlte sie den Schmerz einer Betrogenen.
    Wie von allein wich sie in ihrem Versteck hinter dem Vorhang zurück, bis ihr Rücken auf Keliis Brust traf. Dort blieb sie stehen. Sie musste ihren Mann jetzt ganz nah bei sich spüren und griff mit fester Hand nach dem kleinen Eli, der neugierig die weißen Tanzenden in ihren opulenten Ballkleidern musterte. Sicherheit brauchte Elisa, ganz viel Sicherheit, denn der Boden unter ihren Füßen drohte trotz all ihres Wissens zu wanken.
    Dies war ihre alte Welt, die Welt der weißen Plantagenbesitzer. Vielleicht hatte Kelii recht, und es war keine gute Idee, sich als Bedienstete verkleidet beim Hibiskus-Ball einzuschleichen. Die alten Dämonen zeigten Elisa ihr hässliches Gesicht, und zudem fürchtete sie sich vor Entdeckung und dem damit verbundenen Hohn. Wenn sie nur nicht so neugierig gewesen wäre. Nicht nur ihre Tochter, sondern vor allem auch ihre Mutter wollte sie nach all der Zeit wiedersehen.
    Elisa beobachtete, wie die alten Männer, Sanford und Janson, sich um das kleine Mädchen bemühten. Inzwischen trug auch Janson einen Altmännerbart, und die Kleine zog frech daran. Sanford verbeugte sich, so als sei das Kind in dem steifen Rüschenkleid eine Prinzessin. Die Kleine lachte. Fröhlich klatschte sie erneut in die Hände, als ihr Vater ihr jetzt ein neues Spielzeug reichte, das Sanford aus Oahu mitgebracht hatte. Es war, wie Elisa sehen konnte, eine Ananas, die man aufklappen konnte. Drinnen war eine Spieluhr, die ein amerikanisches Lied erklingen ließ. Die Männer lachten. Janson nahm die Kleine auf den Arm und Elisa zuckte instinktiv zusammen.
    »Wollen wir gehen?«
    Keliis Flüstern klang beruhigend an ihr Ohr. Aber auch er konnte die Flutwelle an Gefühlen nicht verhindern, die auf Elisa zurollte. Sie zitterte am ganzen Körper.
    »Victoria! Mein Liebling!«
    Diese Stimme hätte Elisa unter Tausenden erkannt. Sie drehte ihren Kopf zum Eingang der Festhalle. Clementia Vogel sah blendend aus. Ihre Ehe mit dem alten Fried ließ sie um zehn Jahre jünger aussehen. An seiner Seite schritt sie stolz wie eine Königin durch den Saal, direkt auf ihre Enkelin und Janson zu. Das Kleid ihrer Mutter war aus rubinroter Seide mit dazu passenden Schuhen. Das edle Kollier aus schwarzen Perlen in ihrem Ausschnitt zeugte von neuem Wohlstand.
    Elisa erinnerte sich hinter ihrem Vorhang daran, was Johannes ihr gesagt hatte, als er sie gestern heimlich am Wasserfall getroffen hatte. Er war der Einzige, der von Elisas und Keliis Rückkehr nach Kauai wissen durfte. Offiziell war sie von den lokalen Behörden für tot erklärt worden, damit ihre Ländereien und vor allem ihr profitabler Obsthain nicht in den Besitz von Paul Vogel und seiner Frau übergingen. Das zumindest hatte Johannes mit dem alten Fried und

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