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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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entgegen. Der Moment war vorbei.
    Sie fand den Weg von Lihue nach Hanalei Bay ohne größere Probleme. Alles war gut ausgeschildert, und es herrschte trotz des Ferienwochenendes nicht allzu viel Verkehr. Überall sah sie Hinweise für Taucher, Surfer und sogar Helikopterflüge rund um die Insel. Es war das reinste Ferienparadies.
    Keanu hatte recht gehabt, als er sagte, man müsse sich als Einheimischer ranhalten, wenn man hier überhaupt noch ein Stück Land erwerben wollte. Die Grundstückspreise waren astronomisch, die Mieten ebenso. »Unsere Inseln werden von hungrigen Heuschrecken überfallen, aber von dem Geld der vielen Touristen werden nicht wir, sondern die Investoren satt.« Maja begriff immer mehr, worum es ihm ging. Sie fand sein Engagement großartig, denn ohne Keanu wären sie vielleicht nie in den Besitz des geerbten Grundstücks gekommen. Und auch wenn ihre Geschwister in Deutschland lieber Geld hätten, da beide keinen Bezug zu Hawaii hatten, keimte in Maja eine gewisse Vorfreude.
    In der letzten Stunde, bevor die Nacht sich über die Insel breiten würde, stieg Maja den Pfad hoch, der vom Parkplatz zu den Wasserfällen führte. Es gab auch eine Straße, die den Berg entlang zu dem hawaiischen Dorf führte, in dem Kelii einst mit seiner Familie gelebt hatte. Aber Keanu hatte ihr zu dem alten Pfad geraten. Er würde sie direkt zum Grundstück führen.
    Einst hatte Elisa von der Bremen III aus mit dem Feldstecher des Kapitäns ihre ersten hawaiischen Männer beobachtet, die diesen Pfad entlang zum Versammlungsfelsen gingen, um das Vollmondfest zu feiern. Heute war noch kein Mond zu sehen und auch sonst hatte die Stimmung viel von ihrer Romantik verloren. Wo einst menschenleerer Strand gewesen war, standen die Häuser auf Stelzen dicht an dicht in Hanalei Bay. Vereinzelt gingen bereits die Lichter an. Um diese Jahreszeit wurde es auch hier früh dunkel. Nur das Meer, dachte Maja, ist unverändert majestätisch, und sie glaubte, die Stelle zu erkennen, unter der das Riff von Großvater Hai verborgen war. Ob er noch lebte? Wie alt wurden Haie eigentlich?
    Sie ging zügig, immer höher, bis um den ersten Bergkamm herum, wie Keanu es ihr aufgezeichnet hatte. Kein Mensch außer ihr war hier. Alles, was sie sah, war ein Vogelschwarm, der sich aus einem der großen Koa-Bäume erhob und in der beginnenden Dämmerung seine Kreise über dem Meer zog. Die Luft war salzig und süß zugleich. Der rote Jasminbusch fiel ihr zuerst auf. Dann sah sie den vermoderten Holzpfosten, um den herum der Jasmin über Jahrzehnte gewachsen war. An zwei schiefen Scharnieren hing ein kaputtes Gartentürchen. Das musste es sein. Hier begann ihr Grundstück.
    Es gab keinen Türgriff mehr und auch kein Schloss, dennoch konnte man sehen, dass hier früher einmal ein Garten gewesen war oder aber der Eingang zu einem größeren Obsthain. Es hatte zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Seebeben gegeben und in diesem Zusammenhang einen Erdrutsch, das wusste Maja von ihrem Vater. Daher existierte der hintere Teil des Hains nicht mehr. Der Berg hatte ihn sich genommen und mit undurchdringlichem Dschungelgrün überwuchert. Dadurch gab es eine natürliche Abgrenzung für den Garten.
    Das verbliebene Grundstück lag genau unterhalb des großen Versammlungsfelsens. Auf der sanften Schräge, die den Berg hinaufführte, stand einer der beiden Apfelbäume. Er war gerade und hoch gewachsen, doch hatte er nur wenige Äste. Weiter unten, auf dem geraden Stück ihres Landes, wuchs der zweite Apfelbaum schief in Richtung Meer, so als würde er den Meereswinden etwas zurufen wollen. Der Holzschuppen stand unter dem Baum. Er war baufällig, mit von der Sonne und der salzigen Luft ausgebleichten Latten. Aber die kleine Bank davor sah stabil aus, so als hätte sich in letzter Zeit jemand damit Mühe gegeben.
    Maja setzte sich auf die Bank unter den schiefen Apfelbaum und vor den wackeligen Schuppen. Sie sah mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne. Voll und orange schien der mächtige Ball die Wolken um sich herum zu verjagen, um allein am Himmel unterzugehen. Sie legte die Hand auf ihren Bauch. Es war ein aufregender Tag gewesen. Viel war geschehen und sie wollte in sich hineinspüren, wie es ihrem Kind ging. Aber durch ihren Kopf schossen viele Fragen, seit sie Keanu wiedergesehen hatte. Warum war sie wirklich gekommen? War es das wilde Land hier draußen unter dem Felsen, mit dem sie eine besondere und schicksalhafte Verbindung hatte? Oder war es

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