Tal der Tausend Nebel
gestellt bekommen. Hier wollen wir unser kleines Museum für Elisa einrichten …«
Von der Ladefläche seines Jeeps begann er zwei in Decken gewickelte Bilder auszuladen und dann eine Holzkiste.
»In einem Teil des Museums wollen wir die künstlerischen Arbeiten von Elisa ausstellen und dazu ihre Geschichte auf den Inseln rekonstruieren. Elisa lebte längere Zeit auf Maui, wo sie als Heilerin gearbeitet hat. Später lebte sie auf Molokai. Aber später, lange nach ihrer Rückkehr von der Leprainsel nach Kauai hat sie aus Protest gegen die weiße Regierung fast ein Jahrzehnt in diesem Haus mit den jungen Prostituierten verbracht. Wusstest du das?«
Maja schüttelte ihren Kopf. Sie erinnerte sich an das kleine Skizzenbuch und kramte es aus ihrer Tasche.
»Hier! Mit einem schönen Gruß von deiner Tutu aus Honolulu.«
Keanu lächelte zufrieden.
»Seit meine Familie weiß, dass Elisa Teil eines Museums auf Kauai werden wird, bekomme ich auch von anderen Familien Fotos, Zeichnungen, Briefe und auch Bilder von Elisa. Es ist erstaunlich, wie vielen Menschen sie in ihrem Leben geholfen hat. Die Familien haben vieles aufgehoben … und haben auch einige Geschichten zu erzählen, die ich noch nicht kannte.«
Maja betrat das rote Haus fast ehrfürchtig. Es musste Jahre lang vernachlässigt worden sein, dachte sie, als sie die Fenster sah, die teilweise von außen mit Brettern vernagelt waren. Aber das Haus hatte eine solide Grundstruktur. Es war, was für Hawaii ungewöhnlich war, aus roten Backsteinen gebaut und hatte zwei Stockwerke. Der oberste Stock war halb in ein großes überhängendes Dach gebaut, das an die Architektur im Norden Deutschlands erinnerte. Das Dach hatte zahllose kleine Kammern mit lukenartigen, vergitterten Fenstern, wie Maja an einem gezeichneten Plan sehen konnte, der neben dem Eingang im Flur aufgehängt war. Keanu stellte sich neben sie.
»In den Kammern oben wurden die Mädchen gehalten wie Tiere im Käfig. Die Fenster wurden vergittert, damit sie nicht in den Tod sprangen. Es muss wie ein Gefängnis gewesen sein. Die Weißen hatten keinerlei Interesse daran, das Leid zu lindern, sondern im Gegenteil, sie verdienten Geld daran.
Als Elisa einzog, wohnten über fünfzig Mädchen hier. Die erste Welle Mai Pake machte viele einheimische Kinder zu Waisen. Die Jungs wurden Sklaven auf den Ananas- oder Zuckerrohrfeldern. Die Mädchen mussten ihre Körper verkaufen. Und den Gewinn strichen die Haole ein, allen voran Gerit Janson.«
Maja sah sich ein verblichenes, schwarzweißes Gruppenfoto an, das ebenfalls an der Wand hing. Unter dem Foto war die verschnörkelte Jahreszahl 1920 zu sehen, daneben der von Elisas Schrift gemalte Titel: Die Siegreichen.
Das Foto zeigte eine ältere Elisa, in der einen Hand einen Stock, auf den sie sich stützte, auf dem anderen Arm ein kleines Baby, das fröhlich in die Kamera lächelte. Um sie herum Frauen und Mädchen allen Alters. Viele von ihnen sahen arm aus und waren barfuß, aber alle wirkten gesund und wohlgenährt. Sie sahen gerade und beinahe stolz in die Kamera.
Obwohl Elisas Gesicht angestrengt aussah, ihre Haare ergraut waren und ihr Kleid ärmlich wirkte, ging von ihren Augen ein tiefer, zufriedener Glanz aus. Maja entdeckte auf ihrer Schulter einen Falken. Und auf dem Knauf ihres Gehstocks war eindeutig ein kleiner Totenkopf zu sehen.
Keanu stellte seine Kiste ab und trat zu ihr.
»Elisa hat in diesem Haus gekämpft, viele Jahre lang, für diese Mädchen, die hier von ihren weißen Besitzern zum Tode verdammt waren. Nach zehn Jahren und vielen Verlusten war ihr ein Teilsieg gelungen. Der Besitz von Sklaven auf Hawaii wurde offiziell und bei Strafe von Amerika aus verboten. Das hat Menschen wie Gerit Janson, aber auch ihren eigenen Onkel und seine Frau noch mehr gegen Elisa aufgebracht. Sie hatte mächtige Feinde und offiziell waren auch Mischehen verboten. Kelii und sie waren also ständig in Gefahr. Aber sie hatten auch sehr mächtige Freunde. Stock und Falke sind Symbole von Elisas zunehmender Macht als Kahuna. Einige sagten, dass sie Menschen verhexen konnte. Andere wiederum beschrieben sie als liebevollsten und sanftesten Menschen der Welt. Aber was erzähle ich dir das alles … Du bist eine Traumgängerin. Sicherlich weißt du jetzt schon mehr über Elisa Vogel als ich!«
Er stand neben ihr. Zusammen sahen sie das Schwarzweißfoto an. Beide rührten sie sich nicht von der Stelle, so als würden sie gegenseitig ihrem Atem lauschen. Er hatte
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