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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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eine gute Seite gehabt. Sobald Amala an diesem unseligen Tag frei hatte, ging sie zurück ins Dorf, um den anderen Frauen zu berichten, was für schlimme Worte die Haifischfrau ertragen musste. Haifischfrau, manchmal auch weiße Haifischfrau oder lächelnde Haifischfrau, so wurde Elisa mehr und mehr auch von den Kindern und Männern im Dorf genannt. Es war ein Zeichen von Respekt.
    Am diesem Abend war Kelii mit einem Geschenk aus dem Dorf zu ihr gekommen. Es war ein kleines Püppchen, aus Stoffresten und Zweigen gewickelt, ein Kummerpüppchen von den Frauen des Dorfes. Elisa hatte nicht nur in Amala eine neue Verbündete im Haus gefunden. Auch die anderen Dienstboten warfen ihr jetzt immer ein Lächeln zu, wenn sie ihnen begegnete. Manchmal flüsterten sie ihren geheimen Namen. Und wann immer sie konnte, half ihr die Dienerschaft von da an beim Kinderhüten der anstrengenden kleinen Cousinen, damit Elisa wenigstens ab und zu in Ruhe ein Buch lesen konnte.
    Dennoch ging Elisas geplante Weiterbildung durch Katharinas ständige Gängelei nur langsam vor sich. Zunehmend hatte auch ihr Onkel weniger Interesse daran, dass aus Elisa eine Frau mit umfassender Bildung wurde. In abendlichen Tischgesprächen hatte sich ohnehin gezeigt, dass die junge Hamburgerin mehr über Geografie, Geschichte und Politik wusste als Katharina und Paul zusammen. Anfangs wollte Elisas Onkel den Wissensschatz seiner Nichte für sich nutzen und bezog sie in Männergespräche mit ein, doch Katharina schäumte vor Wut und Eifersucht. Nacht für Nacht vergiftete sie ihren Mann, indem sie Paul weismachte, dass kein Mann eine Frau heiraten würde, die gebildeter war als er.
    Elisa durfte nicht mehr mit den Männern in die Bibliothek, und schleichend wurden ihr noch weitere Privilegien entzogen. Bestimmte Bücher waren tabu. Wenn Elisa jetzt verbotenerweise bei Tisch mit Männern sprach, wies er seine Nichte scharf in die Schranken. Und wenn der alte Fried und Herr van Ween einmal die Woche europäische Gäste aus Lihue oder Hanalei Bay mitbrachten, wurden die Frauen und die Männer jetzt sofort nach dem Essen von Katharina räumlich getrennt.
    Zu Elisas Kummer wurden seit Neuestem die wirtschaftlichen Themen sowie brisante politische Entwicklungen hinter geschlossenen Türen bei Zigarre und Cognac unter Männern besprochen. Währenddessen bekamen die Damen im kleinen Salon einen leichten Kräutertee serviert. Sie tauschten sich angeregt über Kindererziehung aus und bisweilen erhitzte man sich an dem neuesten gesellschaftlichen Klatsch. Elisa langweilte sich regelmäßig zu Tode, aber sie blieb immer bis zum Schluss, ihrer Mutter zuliebe.
    Elisa war fast fertig mit dem Kämmen ihres langen Haares. Sie wusste, dass sie ihren Pflichten bei ihrer Tante an diesem Tag nicht für immer würde fernbleiben können. Trotzdem konnte sie sich noch nicht dazu durchringen, ihr Zimmer zu verlassen, um zu ihrer Mutter zu gehen.
    Einen Moment schloss sie ihre Augen, um in ihren Erinnerungen den heißen Küssen nachzuspüren, die sie jetzt noch auf eine neue Weise mit Kelii verbanden. Ihr Liebster empfand wie sie. Für ihn war Elisa eine kluge junge Frau, die ihm Dinge beibrachte, die ihm in seinem Leben helfen würden. Sie waren sich auf gewisse Weise ebenbürtig. Auch ihr Vater hatte Elisa nie herablassend behandelt, weil sie ein Mädchen war. Er fehlte ihr in diesem Moment sehr. Und auch wenn Elisa froh war, dass ihre Mutter noch am Leben war, musste sie vor sich selber zugeben, dass sie sich schwer miteinander taten.
    Clementia hoffte, dass ihre Tochter noch lernen würde, nur dann zu sprechen, wenn ihre Meinung gewünscht war. Elisa sollte sich unterordnen. Aber genau das fiel Elisa so schwer, wenn sie die Menschen um sich herum nicht respektieren konnte, weil sie ungebildete Besserwisser waren. Sie erinnerte sich an eine schmerzliche Auseinandersetzung mit ihrem Onkel, die ihr immer noch in den Knochen saß.
    An einem lauen Abend, als die Damen und die Herren nach dem Essen gemeinsam auf der umlaufenden Terrasse flanierten, um Katharinas rot blühenden Jasmin zu bewundern, wagte es Elisa, ihren Onkel in Gegenwart seines Freundes Gerit Janson zu korrigieren. Onkel Paul hatte etwas über einen der amerikanischen Präsidenten gesagt, das einfach nicht stimmte. Der 1849 verstorbene Präsident James Polk war Demokrat und kein Republikaner gewesen. Elisa wusste es, denn sie hatte es zufällig kurz zuvor nachgeschlagen. Von den beiden Männern schlug Elisa ein eisiger

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