Tal der Tausend Nebel
sie den Zuckerhandel von ganz Kauai kontrollieren konnten. Natürlich würden mit der Eheschließung Ländereien als Mitgift in Gerits Besitz übergehen, aber die Details wären Verhandlungssache der Männer. Inwiefern beide Plantagen von der Eheschließung profitieren könnten, errechneten derzeit auf beiden Seiten bereits die Berater.
Elisa grauste es in ihrem Zimmer vor den Gesprächen, die sie in den folgenden Wochen würde führen müssen, um ihren Onkel von seinem Kurs abzubringen. Vor ihrem kleinen Ankleidetisch, an dem sie ihre Haare für den Arbeitstag mit den Kindern zu einem ordentlichen Zopf flocht, dachte sie noch einmal an den magischen Morgen mit Kelii. Woher hatte ihr Liebster nur die Ruhe, mit der er Elisas Ängste vor der Zukunft immer aufs Neue besänftigte? Sie würden für immer zusammengehören, das hatte er ihr auch heute wieder zugeflüstert, als sie zwischen zwei langen Küssen atemlos innehielten und sich tief in die Augen sahen. Aber Elisa war sich alles andere als sicher. Wenn es nach Paul und Katharina Vogel ginge, dann würde sie Gerit schon in diesem Sommer heiraten. Vor allem die geschäftliche Erweiterung war in den Augen ihres Onkels das Ziel, das es mit allen Mitteln anzustreben galt. Nur unter diesem Gesichtspunkt waren alle bisherigen Heiratskandidaten für Elisa ausgesucht worden. Sie waren allesamt Freunde oder Geschäftspartner ihres Onkels und zudem allesamt fast doppelt so alt wie Elisa.
Auch ihre bemitleidenswerte Tante Katharina hatte sich seinerzeit den Heiratsplänen ihrer Eltern fügen müssen. Onkel Paul war ebenfalls doppelt so alt wie seine Frau. Was entscheidend dazu beitrug, dass sie schon so früh so verbittert war. Vielleicht hatte auch Katharina einen Liebsten gehabt, dachte Elisa plötzlich, während sie ihr eigenes junges, vor Liebe glühendes Gesicht im Spiegel ansah. Katharina hatte vielleicht auch ihren Liebsten aufgeben müssen, um Onkel Paul zu heiraten. Das würde zumindest erklären, warum sie alles daransetzte, damit Elisa ein unglückliches Leben bevorstand.
Katharina war von Anfang an dagegen gewesen, dass ihre Schwägerin und ihre Nichte nach Kauai kamen. Sie wollte mit ihrem Mann die alleinige Macht über die Plantage, das hatte Elisa bereits nach wenigen Monaten begriffen. Katharina ging es nur noch um Geld, gesellschaftlichen Einfluss und Macht.
»Elisa? Kommst du noch zu mir?«
Die schwache Stimme ihrer Mutter riss Elisa aus ihren Gedanken. Clementia stand im Türrahmen und beobachtete ihre Tochter mit einem zaghaften Lächeln.
»Du bist so jung und schön, mein Kind … wie eine frisch erblühte Rose im ersten Tau.«
Spontan errötete Elisa bei dem Kompliment ihrer Mutter. Und fühlte sich schuldig. Wenn ihre Mutter wüsste, was sie noch vor wenigen Stunden beim Wasserfall getrieben hatte, würde sie Elisa jetzt sicherlich nicht so liebevoll anlächeln.
Die Mutter deutete erstaunt auf Elisas Kleid und Unterkleid.
»Warum sind deine Sachen nass?«
Elisa ging rasch zum Bett ihrer Mutter und gab ihr fröhlich einen Morgenkuss. Dabei erzählte sie ihr von den Heilpflanzen, die sie am Wasserfall gesammelt hatte. Ihre Begegnung mit Kelii erwähnte sie nicht.
Auch den heutigen Tag wollte Clementia lieber im Bett in dem halb verdunkelten Schlafzimmer verbringen, weil sie sich selbst zu schwach fühlte, um sich anzukleiden. Sie sprachen über Katharina. Wie so oft bat die Mutter bei Elisa um Verständnis für die Tante.
»Katharina kommt aus sehr viel kleineren Verhältnissen als du, Elisa. Sie hat keine Gräfin zur Großmutter, und Paul hat sie nur genommen, weil er hier auf den Inseln keine wirklich geeignete Frau finden konnte. Zwischen den beiden lebt keine Liebe, aber sie haben immerhin ein gemeinsames Ziel …«
Elisa nickte bitter, während sie der Mutter erneut ein Stück Frucht reichte, um sie zum Essen zu bewegen. Aber Clementia hielt ihre Hand fest.
»Bitte, Kind, versuche deine Tante zu verstehen. Denk immer daran, dass sie nur knappe fünf Jahre älter als du ist, aber nie ein unbeschwertes Leben hatte. Als Ältestes von fünf Kindern hat sie auf der Insel Oahu nicht nur ihrer siechen Mutter im Haushalt helfen müssen, sondern auch mit den Männern auf dem Feld gearbeitet. Dein Vater hatte es mir unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit erzählt. Über Katharinas Herkunft sollten wir eigentlich nichts wissen …«
Elisa nickte. Jetzt wurde ihr vieles klarer. Daher hatte Katharina fast immer diesen verbitterten Zug um
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