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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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würde.
    Eilig begann sie sich in ihrem Zimmer umzuziehen. Sie hing ihr Kleid zum Trocknen auf die Stange des Himmelbetts neben das hochgerollte Moskitonetz. Wenn sie nachts oder frühmorgens aus ihrem Zimmer verschwand, drapierte sie stets einige Kissen unter ihrer Decke, sodass es aussah, als würde sie unter dem Mückenschutz schlafen. Durch ihre nassen Haare war der Rücken ihres Kleides durchnässt. Auch ihr Unterkleid war feucht. Auf Schultern, Hals und ihren Brüsten meinte sie immer noch Keliis heiße Lippen zu spüren. Seinen Geruch hatte sie in der Nase. Fast war ihr, als könnte sie ihren Liebsten neben sich atmen hören. Schnell begann sie, ihre Haut mit Rosenwasser zu besprühen, um die Spuren der Leidenschaft zu überdecken. Über das frische Unterkleid zog sie ein Kleid aus blassem Rosa. Dann begann sie, ihre Haare zu kämmen. Aber anstatt sich zu beeilen, ließ Elisa sich Zeit, um ein wenig nachzudenken. Sie würde sich in den kommenden Tagen eine neue Strategie einfallen lassen müssen, um ihrer Tante besser ausweichen zu können. Erst kürzlich hatte es einen hässlichen Vorfall gegeben, an den sie sich jetzt mit Unbehagen erinnerte.
    Seit Elisa mit ihrem Bein wieder halbwegs humpeln konnte, wurde sie von ihrer Tante hemmungslos als Kindermädchen für ihre Cousinen ausgenutzt. Jede einzelne Stunde, die Elisa selber in der Bibliothek lernen wollte, um sich weiterzubilden, musste sie anschließend mit Kinderhüten abdienen. Einmal hatte sie sich deswegen bei ihrem Onkel beklagt, aber das hatte ihre Situation nur noch verschlimmert. Am nächsten Morgen war Elisa bereits in aller Frühe in Katharinas Schlafzimmer zitiert worden. Hohläugig und verbissen zischte Katharina ihr entgegen: »Was fällt dir ein, dich bei meinem Mann zu beschweren! Undankbares Ding! Wochenlang haben wir uns um dich gekümmert, haben alles getan, damit du wieder gesund wirst. Und so dankst du es uns!«
    Elisa wollte etwas erwidern, aber ihre Tante hatte nicht vor, sie zu Wort kommen zu lassen, sondern fuhr mit schriller Stimme fort. »Nur weil du zu dumm warst, im Kanu ruhig sitzen zu bleiben, drehte sich wochenlang alles nur um dich! Und jetzt bist du dir zu fein dazu, um mir zu helfen? So etwas wäre in meiner eigenen Familie nie vorgekommen … Paul hat recht. Dein Vater und deine Mutter haben es versäumt, dich zu einer anständigen jungen Frau zu erziehen. Du bist verwöhnt, undankbar und noch dazu wahrscheinlich unvermittelbar. Welcher Mann aus halbwegs gutem Haus will schon einen Krüppel zur Frau?«
    Das saß. Erschrocken wie sie war, hatte Elisa auf diesen Schwall von frustriertem weiblichen Gift nichts mehr zu erwidern gehabt. Sie hatte ja selber schreckliche Angst davor, nie wieder richtig laufen und tanzen zu können. Jedes Mal, wenn sie sich ihre Narbe ansah, wurde ihr vor Ekel übel. Aber warum musste Katharina so grausam sein? Elisa fand in diesem Moment keine Worte, um sich gegen so viel Hass zu wehren. Zudem schien ihr eine Ohrfeige ohnehin angebrachter zu sein. Aber so etwas traute Elisa sich nicht, obwohl Katharina nur wenige Jahre älter war. Daher biss Elisa sich hart auf die Zunge. Keinesfalls wollte sie unbedachterweise ein falsches Wort sagen.
    Mit dem Geschmack ihres eigenen Blutes im Mund entschuldigte sie sich für ihr unbedachtes Verhalten. Sie versprach, dass so etwas nie wieder vorkommen würde. Von jetzt an würde sie nur und ausschließlich mit Katharina selbst reden und sich nicht mehr bei ihrem Onkel beschweren.
    Danach brachte Elisa folgsam den dicken Säugling mit den stinkenden Windeln zu Amala, aber sie konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Katharinas Worte hatten sie verletzt wie scharfe Messerklingen. Ja, sie war ein Krüppel und ihre hässliche Narbe würde sie für den Rest ihres Lebens daran erinnern, dass sie beschädigte Ware war. Amala nahm die schluchzende Elisa spontan in die Arme. Die dicke Hawaiianerin, die selber acht Kinder hatte, war eine entfernte Verwandte von Kelii. Seit dem ersten Kind der Vogels war sie Katharinas leidgeprüfte Amme und hatte schon viel ertragen müssen.
    Amala hatte die giftigen Worte mitangehört und tröstete die Schluchzende mit sanftem Streicheln. Es war das erste Mal, dass Elisa den Namen hörte, den die Frauen aus dem Dorf ihr gegeben hatten: Haifischfrau.
    Während Elisa ihre Haare machte und darüber nachsann, wie sie ihrer Tante am besten aus dem Weg gehen könnte, musste sie mit einem Mal lächeln. Der böse Streit mit Katharina hatte auch

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