Tal der Tausend Nebel
den Mund. Es lag also nicht nur an den vielen Mädchen, die Katharina so kurz hintereinander zur Welt gebracht hatte, sondern auch an ihrer schweren Kindheit.
»Ich werde mir schon nichts anmerken lassen«, sagte Elisa, während sie ihre Mutter weiter mit Obst fütterte, »aber erwarte bitte nicht von mir, dass ich mir von einer Person wie ihr mein Leben verderben lasse!«
Mit einem Seufzer nahm die Mutter ein weiteres Stück Mango. Geduldig wartete Elisa, bis sie es heruntergeschluckt hatte, bevor sie ihr erneut eine Frage stellte.
»Und warum hasst sie ihre eigenen Kinder so sehr? Ich meine, du hast mich immer lieb gehabt und mein Vater auch. Ich verstehe einfach nicht, warum sie meine Cousinen so garstig behandelt. Sie geht mit ihnen um, als seien sie ihr nur … nur lästig.«
Die Mutter nickte betrübt.
»Mädchen zu gebären, zehrt an der Substanz einer Frau und lässt sie vorzeitig altern. Darunter leidet Katharina. Die Galle ihres Ärgers über die Töchter beginnt den Liebreiz ihrer Jugend zu vergiften …« Clementia seufzte und nahm Elisas Hand in ihre.
»Nach dir hätte ich deinem Vater noch einen männlichen Erben gebären müssen. Aber das ist mir leider auch nicht geglückt.«
Elisa kannte diesen tiefen Kummer ihrer Mutter und strich ihr sanft über die Wange.
»Ich weiß. Hätte ich einen Bruder, der uns beschützt, stünde es gar nicht zur Debatte, ob wir für immer hier auf der Plantage bleiben könnten.«
Clementia nickte bitter, während sie sich mit der feinen Leinenserviette den Rest Mangosaft vom Kinn wischte.
»Mein Sohn hätte das natürliche Recht auf das Erbe eures Vaters. Bei Volljährigkeit wäre er der gleichberechtigte Partner von Paul. Aber ich habe keinen Sohn, und du hast keinen Bruder, der dich beschützt. Wir sind nur Frauen, und daher müssen wir deinem Onkel gehorchen, Kind …«
Elisa war aufgestanden und zum Fenster gegangen, um durch einen Spalt zwischen den dunklen Vorhängen in die frische Morgensonne zu sehen. Das helle fröhliche Licht wollte so gar nicht mit ihren düsteren Gedanken über ihre Zukunft zusammenpassen. Da hörte sie mühsam unterdrückte Schluchzer vom Bett.
»Es tut mir leid, mein Kind! Ich weiß, dass dein Vater es anders wollte … aber … ich bin einfach zu schwach, um mich gegen Paul und Katharina durchzusetzen …«
Elisa ging zurück zum Bett und nahm ihre Mutter liebevoll in den Arm. Um sie zu beruhigen, sang sie ihr ein Schlaflied vor und wiegte sie, so wie sie es in der Zeit nach dem Tod ihres Vaters gelernt hatte. Kurz darauf hörte sie an den tiefen regelmäßigen Atemzügen, dass ihre Mutter eingeschlafen war. Mit erleichtertem Seufzer stand Elisa wieder auf und öffnete die Tür aus Bambus, die in den kleinen paradiesischen Garten führte. Die Pflege der Büsche und exotischen Blumen teilten sie sich, seit es Clementia immer schlechter ging. Elisa ließ frische Luft in das Zimmer, achtete aber darauf, dass kein Sonnenlicht auf das Bett ihrer Mutter fiel.
Die Augen ihrer Mutter vertrugen die Helligkeit des Tages immer weniger. Es sei ein chronisches Nervenleiden, sagte der Arzt. Aber Elisa hatte wiederholt Rat bei Kelii und auch einmal bei Keliis Vater gesucht. Heute früh, nachdem sich ihre Körper am Wasserfall atemlos und zufrieden voneinander getrennt hatten, war Keliis Warnung mehr als deutlich gewesen.
»Du musst jetzt etwas tun, Elisa. Die Medizin vom Arzt schwächt deine Mutter sehr schnell. Sie wird bald blind werden.«
Elisa hatte bei seinen Worten vor Entsetzen ihren Kopf geschüttelt, weil sie einfach nicht glauben wollte, dass es so ernst war. Sie hoffte, seine Warnung sei übertrieben, aber Kelii hatte ihr sanft seine Hand auf ihre Schulter gelegt.
»Ich sage die Wahrheit, Elisa, auch wenn sie nicht einfach zu hören ist. Der Arzt ist nicht gut. In den kommenden Monden wird sein Gift das Herz deiner Mutter schwächen. Sie hat keine Schmerzen, aber in sechs bis acht Monden holt sie der lange Schlaf für immer zu ihren Vorfahren.«
»Elisa? Musst du nicht schon längst zu deinen Cousinen? Katharina wird wieder ungehalten sein, wenn du dich verspätest.«
Ihre Mutter war wieder aufgewacht. Wie so oft in letzter Zeit nickte sie vor Erschöpfung nach dem Essen für wenige Minuten ein, aber kurz darauf hatte sie wieder für eine Weile frische Kraft. Jetzt richtete sie sich sogar ein wenig in ihren Kissen auf, um selber nach ihrem Wasserglas zu greifen. Elisa schüttelte ihre dunklen Gedanken ab und lächelte in
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